Bei einer Razzia gehen Hunderte Polizisten gegen die Mafia und ihre Machenschaften vor. Verdächtige landen hinter Gittern. Dabei gibt es auch eine Überraschung.
Organisierte KriminalitätMafia-Razzia im Morgengrauen - auch Polizist festgenommen

Die Ermittler waren in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, im Saarland sowie in Italien im Einsatz.
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Es geht um große Mengen Käse, Olivenöl und Tomatenkonserven, aber es geht vor allem um die Mafia, um vermeintlich verletzte Ehre und schweren Betrug: In den Morgenstunden haben Ermittler in Deutschland und Italien in einer gemeinsamen Razzia gegen die organisierte Kriminalität Dutzende Verdächtige festgenommen. Es seien 34 Haftbefehle vollstreckt worden, darunter auch einer gegen einen Polizisten aus Baden-Württemberg, teilten Staatsanwaltschaft und Polizei mit.
Dem 46 Jahre alten Polizeihauptmeister, der beim Polizeipräsidium Aalen beschäftigt ist, wird demnach Geheimnisverrat vorgeworfen. Der Verdacht gegen ihn bestand nach Angaben der Ermittler seit 2021. Er sei bereits nach dem ersten Verdacht intern versetzt worden. „So konnten wir sicherstellen, dass keine weiteren Informationen weitergegeben werden“, sagte der Polizeipräsident von Aalen, Reiner Möller.
Nach seinen Angaben wurde der Beamte, der keine italienischen Wurzeln hat, im Rems-Murr-Kreis im Großraum Stuttgart festgenommen. Dort habe er auch gearbeitet.

Der Polizeipräsident von Aalen, Reiner Möller, informierte über den Einsatz.
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„Wenn die Polizei Erkenntnisse über Fehlverhalten von einzelnen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten erhält, werden unverzüglich straf- und dienstrechtliche Maßnahmen umfassend geprüft und gegebenenfalls eingeleitet“, teilte ein Sprecher des Innenministeriums Baden-Württemberg mit. „Die Menschen in unserem Land haben zu Recht ein hohes Vertrauen in die Polizei.“ Um diesem Vertrauen gerecht zu werden, gehe die Polizei auch möglichem Fehlverhalten in ihren Reihen sehr konsequent nach.
Aktionen in drei Bundesländern
Die in der Mehrzahl italienischstämmigen Verdächtigen sollen unter anderem Verbindungen zur kalabrischen Mafia 'Ndrangheta haben, teilten die Ermittler weiter mit. Insgesamt 40 Objekte seien bei dem rund zweistündigen Einsatz in Deutschland und Italien durchsucht worden.
Betroffen seien neben Baden-Württemberg auch Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz sowie das Saarland, hieß es. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Stuttgart erstrecken sich die Maßnahmen in Baden-Württemberg auf Stuttgart, Fellbach, Kernen im Remstal, Weinstadt, Rudersberg, Schorndorf, Waiblingen, Steinheim/Murr, Kuppenheim und Mühlacker. Es wurden Schusswaffen, Munition und digitale Speichermedien, Geschäftsunterlagen und Bargeld sichergestellt.

Es wurden unter anderem Geschäftsunterlagen und Bargeld sichergestellt.
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Betrug unter anderem mit Lebensmitteln
Die mutmaßlichen Mafiosi sollen sich zwischen April 2020 und Mitte 2022 unter anderem gegenüber einer Firma in Ungarn und Firmen in Italien als Mitglieder tatsächlicher deutscher Unternehmen aus der Lebensmittelbranche ausgegeben haben. Sie hätten in großen Mengen Produkte sowie Maschinen für die Herstellung von Pizza bestellt. Die Unternehmen vertrauten auf den guten Ruf und lieferten die Waren in ein angebliches Lager einer nicht existenten Firma aus, wie die Staatsanwaltschaft erklärte.
Weil Rechnungen nicht bezahlt und die Produkte an Gastronomen in Deutschland verkauft worden seien, sei ein Schaden von mehreren Hunderttausend Euro entstanden. Die Gastronomen hätten um die Mafia-Zugehörigkeit der Anbieter gewusst. Aus Angst seien sie auf den Handel eingegangen, hieß es.
Gemeinsame Ermittlungen von Deutschen und Italienern
Der koordinierte Einsatz mit dem Namen „Operation Boreas“ geht den Angaben zufolge auf eine Ermittlungskooperation mit den italienischen Behörden zur Bekämpfung der Mafia und der organisierten Kriminalität zurück. Die Vorwürfe gegen die Verdächtigen reichen von Bildung und Unterstützung einer ausländischen kriminellen Vereinigung, bandenmäßigem Betrug, erheblicher Gewalt, mehreren Fällen des versuchten Totschlags aus verletzter Ehre und Erpressungen bis hin zu Betäubungsmittelhandel, Geldwäsche und Steuerhinterziehung.
Von den Verdächtigen in Italien sitzen nun zahlreiche im Gefängnis, weitere wurden unter Hausarrest gestellt. Die Verdächtigen konnten laut Polizei in den Provinzen Cosenza und Crotone in Kalabrien aufgespürt werden.

Der Einsatz hatte den Namen „Operation Boreas“.
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Verbindungen zur Mafiaorganisation 'Ndrangheta
Die Mafia-Organisation 'Ndrangheta aus der süditalienischen Region Kalabrien ist eine der großen Verbrecherbanden Italiens mit Beziehungen in die ganze Welt. Sie gilt als gefährlicher als die sizilianische Cosa Nostra oder die Camorra aus Neapel. Den größten Teil ihres Geschäfts macht die 'Ndrangheta mit Rauschgift. Nach Einschätzung von Experten hat sie eine dominante Stellung auf dem europäischen Kokain-Markt. Dabei ist sie auch in Deutschland aktiv.
Nach einer letzten Auskunft des Landesinnenministeriums (April 2024) leben allein in Baden-Württemberg rund 170 Personen, die das Landeskriminalamt der organisierten Kriminalität zurechnet. Tätige Mafia-Organisationen seien 'Ndrangheta, Cosa Nostra, Camorra und Sacra Corona Unita. Die Verdächtigen leben demnach insbesondere im Bodenseeraum und im Großraum Stuttgart.

In Italien und Deutschland gab es mehrere Festnahmen.
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Hohe Dunkelziffer an Mafiosi in Baden-Württemberg
Knapp ein Viertel der Angehörigen der italienischen organisierten Kriminalität in Deutschland leben in Baden-Württemberg. Das wird auf die geografische Nähe zu Italien zurückgeführt, aber auch auf die Wirtschaftskraft des Bundeslandes. Das Spektrum der Straftaten reicht von Betrug über Drogenhandel und Waffendelikten bis hin zur Geldwäsche. Experten gehen von einer hohen Dunkelziffer an Mafiosi aus.
Den jüngsten Einsatz unterstützt hat nach Angaben der italienischen Polizei außerdem das Interpol-Projekt I-CAN (Interpol Cooperation Against 'Ndrangheta). Mit der Hilfe des I-CAN-Projekts wurden nach Interpol-Angaben seit seinem Start 2020 weltweit schon mehr als 100 Verdächtige festgenommen. An dem Projekt sind demnach etwa 20 Länder beteiligt, hauptsächlich Deutschland und Italien engagieren sich dort verstärkt. (dpa)