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Kampf gegen das UnverständnisSelbsthilfegruppe in Schleiden hilft Betroffenen bei Depressionen

Lesezeit 6 Minuten
Eine Frau steht in ihrer Wohnung an einem geöffneten Fenster und blickt hinaus.

Betroffene können sich in der Selbsthilfegruppe in Schleiden über ihre Krankheit austauschen. (Symbolbild)

In Schleiden eröffnete Christian Gehlen die erste Selbsthilfegruppe für Menschen mit Depressionen im Kreis Euskirchen. Dort sprechen Betroffene gemeinsam über ihre Erfahrungen.

Mittlerweile gilt sie als Volkskrankheit: die Depression. Wenn die Tage kurz sind und das Wetter schlecht, steigt bei vielen die Gefahr, in eine depressive Phase zu geraten. Laut Bundesgesundheitsministerium erkranken geschätzt zwischen 16 und 20 von 100 Menschen in ihrem Leben an einer Depression oder kommen in eine depressive Phase.

Doch viele trauen sich nicht, darüber zu sprechen. Dabei handelt es sich bei der Depression um eine Erkrankung, die behandelt werden muss. Eine ernste Gefahr stellen vor allem Selbstmordgedanken dar. Mehr als 9000 Menschen haben sich 2020 das Leben genommen. Laut dem Verein „Deutsches Bündnis gegen Depression“ haben davon mehr als 50 Prozent an einer Depression gelitten.

Schleiden: Erste Selbsthilfegruppe im Kreis Euskirchen

Eine Gefahr, die die Menschen, die sich alle 14 Tage im Gruppenraum der Caritas in Schleiden im Kreis Euskirchen treffen, aus eigener Erfahrung kennen. Seit rund drei Jahren besteht die Selbsthilfegruppe Depression und hat damit eine Lücke geschlossen. Denn im Kreis Euskirchen habe es bis dato kein derartiges Angebot gegeben. „Die nächste Gruppe, die ich gefunden habe, war in Bonn“, sagt ein Teilnehmer aus Hellenthal. Daran habe sich bis jetzt nichts geändert.

120 Anrufe habe er erhalten, nachdem er die Gruppe ins Leben gerufen habe, erzählt Christian Gehlen aus Harperscheid. Zuerst seien zwei Gruppen eingerichtet worden, weil der Andrang so groß gewesen sei. Doch mit der Zeit habe sich das verringert. Manchmal kommen nur drei Betroffene. An diesem Dienstag nach den Weihnachtsfeiertagen sind es sieben Menschen, die sich treffen, um über ihre Erfahrungen zu reden, um Tipps auszutauschen oder einfach zuzuhören, wenn die anderen von sich erzählen.

Einen Gesprächsleiter gibt es nicht. Gehlen übernimmt als Gründer und Organisator der Treffen die Begrüßung. Doch ein Hobbytherapeut sei er nicht, betont er. Es wird geredet. Immer wieder entdecken die Teilnehmer Ähnlichkeiten in den Schilderungen mit ihren eigenen Erfahrungen, können mit Menschen, die Ähnliches erlebt haben, über ihre Gefühle sprechen.

Oft ziehen sich die Menschen in einer Depression zurück, können nicht reden, keine Gefühle zeigen. „Hier wird man geerdet, kann nachdenken und hören, ob man vielleicht Tipps bekommt“, sagt der Hellenthaler. Viele seien auch hier, wenn es ihnen gut geht – sie wissen, dass sich das jeden Tag ändern kann.

Depressionen müssen als Krankheit akzeptiert werden

Christian Gehlen ist der Einzige aus dem kleinen Kreis, der seinen Namen öffentlich machen will. Die Akzeptanz für ihre Erkrankung sei immer noch gering, beklagen die Betroffenen. „In der Familie herrscht komplettes Unverständnis“, sagt eine Frau. Da werde die Depression nicht als Krankheit angesehen, sondern gesagt: „Stell’ dich nicht so an. Oder: Reiß dich zusammen.“

„Die Phase haben wir alle mitgemacht“, sagt ein Mann aus Höfen. Da helfe es nur aufzuklären. Die Angehörigen müssten sich auch über die Krankheit schlaumachen, fordert er. Deshalb seien auch schon Angehörige mit in die Selbsthilfegruppe gekommen, ergänzt Gehlen.

Denn die Krankheitsbilder seien für Außenstehende oft nur schwer zu verstehen: „Du hast alles, was du brauchst: einen guten Job, Frau, Kinder, ein Haus. Und du liegst nur im Bett und heulst.“ Er habe keine Lust mehr gehabt, zu leben, sagt der Höfener. Für seine zwei Enkelkinder, die heute wieder das Größte für ihn seien, habe er kein Gefühl entwickeln können. Ähnlich ging es der Frau aus Schleiden, die gerade zehn Wochen in einer Klinik war. „Wenn es mir schlecht geht, empfinde ich für meinen Sohn keine Emotionen“, sagt sie.

Übereinstimmend berichten die Teilnehmer, wie kleinste Alltagshandlungen zu nicht zu bewältigenden Aufgaben werden – das Ausräumen einer Spülmaschine etwa oder Rasenmähen. „Die einfachsten Dinge kriegt man nicht hin, der Kopf ist zu“, so der Mann aus Hellenthal. Die Auslöser einer Depression können ganz verschieden sein. Bei dem einen ist es eine berufliche Überlastung, bei dem anderen eine Krankheit. Schlechte Erfahrungen können sich anhäufen, bis es zu viel wird.

„Depression ist nicht heilbar, aber sie ist gut behandelbar“, sagt der Mann aus Hellenthal. Den meisten von denen, die an diesem Abend zusammengekommen sind, geht es relativ gut. Doch auch das birgt Probleme. Denn für das Umfeld ist oft kaum verständlich, dass jederzeit eine depressive Phase kommen kann. „Wenn es gut geht, denken die Leute: Jetzt können wir den wieder voll belasten“, hat der Mann aus Höfen erlebt. In der Therapie lerne man, Grenzen zu setzen und auch einmal Nein zu sagen, so Gehlen.

Monatelange Wartezeiten für einen Therapieplatz

Eine Vielzahl verschiedener Maßnahmen sei nötig, damit es besser gehe. Dazu gehörten auf jeden Fall die richtige Medikation und ein Therapeut. „Ein großer Fehler ist, die Medikamente abzusetzen, weil man denkt, es geht wieder gut“, warnt er.

Für viele Betroffene sei es unmöglich, einen Therapeuten zu finden. „Es gibt zu wenige, im Moment sind neun Monate Wartezeit“, sagt Gehlen. So mancher weise sich deshalb selbst in eine Klinik ein, um schneller in eine Therapie zu kommen.

In einer Depression gehe es einem nicht permanent schlecht, denn man lerne auch, sich selbst zu helfen, berichtet der Höfener. Doch es sei auch ein Kampf um sich selbst. „Mein Therapeut hat gesagt, eine Besserung benötigt 70 bis 80 Prozent Eigeninitiative.“ Ihm sei etwa aufgegeben worden, nicht länger als zehn Minuten im Bett zu liegen, ohne zu schlafen.

Doch das Wichtigste wäre für alle Teilnehmer der Runde, wenn ihre Krankheit endlich mehr akzeptiert würde. „Es ist ein Kampf mit sich selbst, dazu Ärger auf der Arbeit, das Unverständnis der Kollegen“, so der Hellenthaler. Denn die Depression ist nicht sichtbar, auch wenn sie eine Krankheit sei wie ein Beinbruch, so Gehlen.

Doch mit einem gebrochenen Bein sei es selbstverständlich, wenn man nicht am Fußballtraining teilnehme, bei einer Depression fehle aber das Verständnis, vergleicht er. „Und der mit dem Verband bekommt dann auch noch ‚Gute Besserung‘ gewünscht. Das habe ich noch nie gehört“, sagt der Hellenthaler.

Welche Bedeutung die Selbsthilfegruppe aber haben kann, hat die Frau aus Schleiden erlebt. Sie habe Selbstmordgedanken gehabt und in eine Tagesklinik gehen wollen. Doch die Gruppe habe sie von einer stationären Therapie überzeugt, die zehn Wochen dauerte: „Es war der richtige Weg, zu dem mir die Gruppe geraten hat.“ „Das hat die Gruppe gut gemacht“, sagt Gehlen leise, und dabei sieht er sehr zufrieden aus.


Die Selbsthilfegruppe trifft sich alle 14 Tage. Ansprechpartner: Christian Gehlen, E-Mail: kontakt@depressionshilfe-sle.de; Tel. 0177/5781925.