Der alte Bundestag soll mit Zwei-Drittel-Mehrheit das Grundgesetz ändern, um die Finanzpläne der neuen schwarz-roten Allianz möglich zu machen. Eine bisherige Regierungspartei sagt dazu nun Nein. Doch ist damit das letzte Wort schon gesprochen?
Rundschau-Debatte des TagesWas wollen die Grünen, Frau Göring-Eckardt?

Drängt auf eine „vernünftige“ Reform der Schuldenbremse, will aber keine Wahlgeschenke finanzieren: Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt von den Grünen.
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Warum lehnen die Grünen das Finanzpaket von Friedrich Merz und Lars Klingbeil ab? Im Interview mit Rena Lehmann erklärt Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, wieso sie von der schwarz-roten Einigung nichts hält. Außerdem geht es um die Wahlergebnisse im Osten – und wie sie als ehemalige Bürgerrechtlerin aus Thüringen darauf reagieren will.
Frau Göring-Eckardt, Friedrich Merz braucht die Grünen, um mit dem „alten“ Bundestag eine Änderung der Schuldenbremse und ein Sondervermögen für Infrastruktur in Höhe von 500 Milliarden Euro auf den Weg zu bringen. Das hat Ihre Fraktion nun abgelehnt. Gibt es noch eine Chance auf eine Einigung?
Unser Land steht vor enormen Herausforderungen. Wir müssen dringend in unsere Sicherheit und Infrastruktur investieren. Klima- und Umweltschutz gehören mit dazu. Seit Jahren wollen wir die Schuldenbremse vernünftig reformieren. Dazu waren und sind wir immer gesprächsbereit. Wir werden Union und SPD aber keinen Blankoschein für ihre Wahlgeschenke ausstellen. Schulden sind nur dort sinnvoll, wo sie Probleme für die Zukunft lösen.
Was sind die Bedingungen für die Grünen?
Das ist die Maßgabe: Lösen mögliche Schulden Probleme für die Zukunft? Oder wird nach alter Groko-Manier auf Substanz gefahren und werden Probleme nur weiter aufgetürmt und vor sich hergeschoben?
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Im Grunde macht Merz nun das, wofür Robert Habeck im Wahlkampf geworben hat. Ist das Wahlbetrug oder rechtfertigt die neue geopolitische Lage die Rekordverschuldung?
Das tun Merz und Klingbeil leider nicht, denn sie wollen Schulden aufnehmen, um die Kosten ihrer Einigung in der Koalition zu finanzieren und nicht um die nötigen Maßnahmen für Sicherheit, Klima und Infrastruktur zu organisieren. Die Union hat im Übrigen in den vergangenen Jahren die an sie ausgestreckte Hand immer wieder verweigert. Jetzt muss sie den Bürgerinnen und Bürgern eingestehen, dass ihre Versprechen haltlos waren.
Sehen Sie kein demokratisches Problem, wenn der alte Bundestag jetzt noch solche weitreichenden Beschlüsse fasst?
Es ist extrem ungewöhnlich, besonders wenn die neue „Kleiko“ weiß, dass die Mehrheiten in der neuen Legislatur andere sind. Unsere klare Empfehlung war es deswegen, auch mit der Linken zu reden. Grundsätzlich gilt: Der alte Bundestag ist so lange legitimiert, bis der neue Bundestag zusammentritt.
Aber im neuen Bundestag hätten die Parteien, die höhere Ausgaben für die Ukraine ablehnen, eine Sperrminorität...
Ja, deswegen wird ja geredet. Ohne Sicherheit ist schließlich alles nichts. Sollte es vorab zu keiner Einigung kommen, muss man versuchen, alle demokratischen Parteien bei dieser Frage mit ins Boot zu holen.
Wäre es nicht geboten, zunächst mal die Bemühungen von Donald Trump für einen Frieden in der Ukraine abzuwarten?
Donald Trump will keinen Frieden. Er will, dass die Ukraine sich Russland unterwirft. Er missversteht das Schweigen von Waffen als Frieden. Im Donbas oder auf der Krym kann man sehen, dass das nicht stimmt. Er will, dass Putin als großer Sieger vom Platz geht mit seinen imperialen Gelüsten. Das können wir nicht unterstützen. Es geht um die Sicherheit der Ukraine und unsere eigene Sicherheit.
Die Grünen sind bei der Bundestagswahl in Ostdeutschland auf 7,9 Prozent gekommen und haben dort noch deutlich stärker verloren als andere etablierte Parteien. Wie sieht Ihre Analyse aus?
In vielen Ländern Europas und auch global betrachtet sind rechtspopulistische Parteien auf dem Vormarsch. Der Osten könnte Westdeutschland womöglich nur einen Schritt voraus sein, wenn es jetzt nicht gelingt gegenzusteuern. Hinzu kommt – und das zählt für uns Bündnisgrüne besonders: Wenn man Veränderung ablehnt, wird nicht die Partei gewählt, die am meisten Veränderung will, sondern die Partei, die verspricht, alles könne bleiben wie es ist, gewinnt Zulauf. Der Osten Deutschlands ist außerdem in diesem Wahlkampf insgesamt sozusagen rechts liegengelassen worden. Dieser Wahlkampf wurde in Westdeutschland geführt, es ging nicht um Themen, die Ostdeutsche besonders beschäftigen.
Welche Schlüsse ziehen Sie daraus für den künftigen Kurs der Grünen?
Ich finde, wir sollten ernsthaft zu dem stehen, was wir programmatisch drauf haben. Die Klimakrise wird ja nicht aufhören, nur weil Friedrich Merz das vielleicht nicht so wichtig findet. Wir haben Lösungen bei der Hand, die Klimakrise so zu bewältigen, dass sie erträglich bleibt und zu neuem Wohlstand führt. Außerdem stehen wir für eine Politik, die nach Gemeinsamkeiten sucht, statt zu spalten. Das ist etwas, wofür man sich nicht entschuldigen muss. Und das wird in diesen rauen Zeiten immer wichtiger.
Rechtfertigt auch Ihr persönliches Wahlergebnis von 3,1 Prozent der Erststimmen, dass Sie weiterhin den Posten der Bundestagsvizepräsidentin übernehmen?
Ich habe dafür geworben, mit der Erststimme Bodo Ramelow von der Linken in meinem Wahlkreis zu wählen, um zu verhindern, dass der Wahlkreis an die AfD geht. Das ist gelungen. Das Zweitstimmenergebnis für die Grünen in meinem Wahlkreis und in ganz Thüringen ist anständig.
Reicht Ihnen das als Legitimation, um Vizepräsidentin des Parlaments zu sein?
Wenn meine Fraktion mich nominiert, mache ich das gern. Der Osten ist mehr als ein blau-brauner Teil der Deutschlandkarte. Ich habe als Bürgerrechtlerin in der DDR für ein demokratisches Deutschland gekämpft. Auch heute gibt es im Osten viele Aufrechte. Ich möchte im Präsidium weiter zeigen, der Osten ist vielfältig. Ich weiß aus meiner Biografie: Demokratie wird uns nicht geschenkt, sondern muss erarbeitet werden.
Im Osten hat die AfD mit zwei Ausnahmen alle Direktmandate gewonnen. Die neuen Länder repräsentiert also künftig vor allem eine Partei im Bundestag, die Sie von allen wichtigen Posten ausschließen wollen. Ist das demokratisch?
Die AfD hat ihre Redezeit, kann Initiativen einbringen und Abgeordnete für Posten zur Wahl stellen. Es ist Teil unserer Demokratie, dass nicht jeder, der sich zur Wahl stellt, auch gewählt wird. Dafür braucht man Mehrheiten. Ich werde niemanden von der AfD in das Präsidium wählen. Und ich zähle darauf, dass alle demokratischen Fraktionen die Auffassung teilen, dass eine Partei, die die Demokratie aushöhlen will, im Präsidium des Bundestages nicht tragbar ist.
Linken-Fraktion strebt Eilverfahren in Karlsruhe an
Die Linke will mit einem Eilverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht milliardenschwere Entscheidungen mit alten Mehrheiten im Bundestag verhindern. Einzelne Bundestagsabgeordnete sowie die künftige Fraktion haben in Karlsruhe den Antrag auf eine einstweilige Anordnung gestellt. Ziel ist, den alten Bundestag nach der für Freitag geplanten Feststellung des Endergebnisses der Wahl vom 26. Februar nicht mehr zu Sondersitzungen einzuberufen.
In der Begründung des Antrags heißt es, die neuen Abgeordneten sähen sich in ihren Mitwirkungsrechten verletzt. Der amtierende Fraktionschef Sören Pellmann (Foto) sprach von einer Entmündigung. Er kündigte zudem an: „Ob wir darüber hinaus auch zum übereilten Beschluss- und Gesetzgebungsvorhaben juristisch weiter vorgehen werden, da sind wir noch in der Prüfung.“
Zugleich signalisierte die Fraktion, dass sie für Gespräche über die Schuldenbremse zur Verfügung stünde. Die Linke setze sich zwar weiter dafür ein, dass die Schuldenbremse komplett abgeschafft werde, sagte Co-Fraktionschefin Heidi Reichinnek. „Wir sind aber bereit, eine Reform mitzutragen. Im neuen Bundestag gibt es dafür demokratische Mehrheiten.“ (dpa)