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Rundschau-Debatte des TagesVerzocktes Geld zurück, weil die Lizenz fehlte?

Lesezeit 5 Minuten
Das Logo von Tipico, einem Anbieter von Sportwetten, ist über dem Eingang zu einer Filiale des Wettbüros angebracht.

Zwischen 2012 und 2020 bekam kein privater Wettanbieter eine deutsche Lizenz.

Sportwettenanbieter Tipico hatte seinen Sitz in Malta, war aber in Deutschland aktiv – obwohl er bis 2020 keine Konzession dafür hatte. Nun klagen Tausende Kunden.

Immer wieder ziehen einst glücklose Spieler vor Gericht, um Verluste aus unerlaubten Sportwetten zurückzufordern. Denn vielen Anbietern fehlte vor 2020 jahrelang die erforderliche Lizenz der deutschen Behörde. Nachdem sich zahlreiche deutsche Gerichte mit solchen Spielerklagen beschäftigt haben, hatten sich viele Kläger eine höchstrichterliche Klärung erhofft. Doch der Bundesgerichtshof (BGH) legt den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor. Welche Frage er an die Richter in Luxemburg richtet? Und was das für Glücksspieler heißt? Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Seit wann sind Sportwetten in Deutschland erlaubt?

Bis Mitte 2012 hätten abgesehen von vereinzelten Fällen alter DDR-Lizenzen nur staatliche Anbieter in Deutschland Sportwetten veranstalten dürfen, sagt Rechtsanwalt und Glücksspielrechtsexperte Lennart Brüggemann. Um den Schwarzmarkt auszutrocknen, beendeten die Bundesländer 2012 dieses Monopol und führten einen neuen Glücksspielstaatsvertrag ein. Erstmals sollten auch private Anbieter die Möglichkeit bekommen, Online-Sportwetten anzubieten – allerdings nur, wenn sie eine Konzession in Deutschland hatten. Doch über acht Jahre sei keinem Interessenten eine solche Konzession erteilt worden, so Brüggemann. Grund waren Bedenken der Verwaltungsgerichte zum behördlichen Verfahren. Anbieter blieben deshalb jahrelang in einem rechtlichen Schwebezustand. Erst 2020 erhielten die ersten eine Lizenz. Im Jahr darauf trat der heute gültige Glücksspielstaatsvertrag in Kraft, der die Sportwetten unter Auflagen offiziell legalisierte.

Worum geht es im konkreten Fall vor dem Bundesgerichtshof?

Am BGH geht es um die Klage eines Mannes gegen den Wettanbieter Tipico (Az. I ZR 90/23). Er hatte von 2013 bis 2018 an Sportwetten teilgenommen und mehr als 3700 Euro verloren, die er nun zurückverlangt. Seiner Ansicht nach waren die Wetten unzulässig und die Verträge unwirksam, weil der Anbieter nicht die erforderliche Erlaubnis hatte. Tipico mit Sitz in Malta hatte eine deutsche Konzession zu dieser Zeit zwar schon beantragt, erhielt sie aber erst 2020. Eine maltesische Erlaubnis hatte das Unternehmen allerdings. Der EuGH befasste sich damals mit der deutschen Praxis und entschied 2016 in einem anderen Fall, dass Anbieter nicht bestraft werden dürften, da es in Deutschland kein legales Verfahren für die Erteilung einer Konzession gab. Das verbiete die Dienstleistungsfreiheit. Um solche strafrechtlichen Folgen geht es im aktuellen Fall aber nicht, sondern um zivilrechtliche Ansprüche des betroffenen Spielers. Dessen Klagerecht hat ihm inzwischen der Prozessfinanzierer Gamesright abgekauft. Zuletzt hatte das Landgericht Ulm erklärt, Tipico habe zwar gegen Vorschriften des Glücksspielstaatsvertrags in der damals gültigen Fassung verstoßen, die Wettverträge seien aber dennoch wirksam.

Was hat der BGH nun in der Sache entschieden?

Der Karlsruher Senat ist sich nicht sicher, ob dieses Urteil mit dem EU-Recht vereinbar ist – genauso wie eine mögliche gegenteilige Entscheidung. Darum hat er das Verfahren ausgesetzt. Der EuGH in Luxemburg soll nun zunächst klären, ob die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit eines Anbieters mit Sitz in einem anderen EU-Land der Erstattung von Verlusten bei unerlaubten Sportwetten entgegensteht. Es stellt sich die Frage, ob Sportwettverträge nichtig sind, wenn der Anbieter eine deutsche Lizenz beantragt hatte, das Verfahren dafür aber unionsrechtswidrig durchgeführt wurde. Der BGH entscheidet in dem Fall erst, wenn der EuGH diese Fragen beantwortet hat. Zwei ähnliche Verfahren, die bereits in Karlsruhe liegen, wurden ebenfalls bis dahin ausgesetzt.

Was bedeutet das für Spieler, die ebenfalls klagen wollen?

Aus Sicht ihrer Anwälte nur Warten: Durch die EuGH-Vorlage werde ein Grundsatzurteil zugunsten der Spieler lediglich verzögert, aber nicht verhindert, sagt Rechtsanwalt Claus Goldenstein, dessen Berliner Kanzlei nach eigenen Angaben mehr als 4500 Mandanten in ähnlichen Klagen vertritt. „Betroffene Glücksspieler sollten sich davon nicht verunsichern lassen und Online-Wettverluste schnellstmöglich zurückfordern, um eine Verjährung von bestehenden Rechtsansprüchen zu verhindern.“ Gamesright-Mitgründer Hannes Beuck erklärte: „Auch wenn wir heute keine endgültige Entscheidung erhalten haben, sind wir zuversichtlich, dass die Klärung auf europäischer Ebene die nötige Rechtssicherheit für alle Beteiligten bringen wird.“

Worauf hoffen die Wettanbieter im weiteren Verfahren?

Auf einen gegenteiligen Ausgang natürlich. Tipico verweist darauf, dass der EuGH in einem strafrechtlichen Fall schon klar entschieden habe, dass das Fehlen einer deutschen Konzession aufgrund eines intransparenten Vergabeprozesses den in der EU lizenzierten Anbietern nicht entgegengehalten werden dürfe. „Wir sind sehr zuversichtlich, dass der EuGH dies auch im konkreten Fall so bestätigen wird“, erklärt Anwalt Ronald Reichert, der Tipico vor Gericht vertritt. „Die Klärung der Rechtslage kommt allen Beteiligten zugute und wird durch die heutige Entscheidung des BGH beschleunigt.“

Wie steht der Bundesgerichtshof zu dem aktuellen Fall?

Der BGH steht eher aufseiten der Spieler. Der Vorsitzende Richter des Karlsruher Senats, Thomas Koch, betont auch jetzt, dass der Senat im Grunde dazu neige, Sportwettenverträge ohne Konzession als nichtig anzusehen, auch wenn die Anbieter eine Erlaubnis schon beantragt hatten. Dann müssten verlorene Einsätze zurückerstattet werden. Bei dieser Einschätzung sei auch die bisherige Rechtssprechung des EuGH berücksichtigt worden.

Welche Auswirkungen hätte ein Urteil im Sinne der Spieler?

Ein verbraucherfreundliches Urteil könnte eine noch größere Klagewelle lostreten als ohnehin schon. Tausende Verfahren laufen an deutschen Gerichten. Das liegt zum einen daran, dass mehrere Firmen vor Jahren in der rechtlich unklaren Lage Sportwetten angeboten hatten. Zum anderen haben sich Kanzleien und Unternehmen auf diese Art von Klagen spezialisiert – wie der Rechtsdienstleister Gamesright. Ein Urteil im Sinne der Spieler könne viele Betroffene ermutigen, Verluste zurückzufordern, sagt Co-Gründer Beuck. „Wir gehen davon aus, dass wir nach einem positiven Urteil schnellere und höhere Rückzahlungen erreichen können.“ (dpa)


So verbreitet sind Sportwetten inzwischen

Dem Glücksspielatlas zufolge nahmen 2021 fünf Prozent der Bevölkerung in Deutschland an Sportwetten teil – eine Verdopplung innerhalb von zwei Jahren. Die Brutto-Spielerträge bei Sportwetten hätten 2022 bei 1,4 Milliarden Euro gelegen. Zum Vergleich: Bei Lotterien seien es 4,1 Milliarden und bei Geldspielautomaten 4,8 Milliarden Euro gewesen. Der Zuwachs bei Sportwetten sei seit der Legalisierung 2020 stark, heißt es weiter. Laut der Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder (GGL) haben inzwischen 30 Anbieter von Sportwetten eine Erlaubnis. (dpa)