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Rundschau-Debatte des TagesSchadet das Bürgergeld mehr, als es nützt?

Lesezeit 5 Minuten
Neben einem Schild, auf dem Jobcenter steht, stehen zwei Personen.

Wer Bürgergeld bezieht, soll eng mit dem Jobcenter zusammenarbeiten.

Wer auf Bürgergeld angewiesen ist, sollte bald wieder einen Arbeitsplatz bekommen – das zumindest ist das Ziel. Doch oft muss der Staat weiter einspringen. Warum ist das so? Und wer trägt daran die Hauptschuld – die Leistungsbezieher selbst?

Ob der Hartz-IV-Nachfolger die Betroffenen nachhaltiger als bisher in Arbeit bringt, ist politisch hoch umstritten. Offenbar sind viele, die in einen Job vermittelt wurden, bald wieder auf staatliche Leistungen angewiesen. Doch die Zahlen lassen Raum für Spekulationen.

Rund jede zweite Person in Deutschland mit Bürgergeld ist ein halbes Jahr nach der Aufnahme einer Arbeit weiter oder wieder auf staatliche Unterstützung angewiesen. BSW-Parteigründerin Sahra Wagenknecht, die die Zahlen bei der Regierung angefragt hatte, bewertet diese Quote als „inakzeptabel“. Es könne nicht sein, „dass nach nur sechs Monaten Arbeit jeder Zweite zurück im Bürgergeld ist“, sagte Wagenknecht der „Bild“, die zuerst darüber berichtet hatte.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sieht das Bürgergeld dagegen im Grundsatz richtig aufgestellt, damit Arbeitslose langfristig wieder in Lohn und Brot kommen. Für Alleinstehende war der Regelsatz Anfang des Jahres um 61 auf 563 Euro im Monat gestiegen. Bezahlt werden üblicherweise zudem Wohnen und Heizung. 2025 gibt es eine Nullrunde bei der Entwicklung der Regelsätze.

Macht der Bezug von Bürgergeld die Leistungsempfänger träge?

„Die These, dass das Bürgergeld träge mache, stimmt so nicht“, sagte ein Sprecher Heils. Laut aktuellen Daten bleibe die Mehrheit der Menschen mit Bürgergeld, die in Arbeit integriert werde, auch weiterhin beschäftigt. Sechs Monate nach einer Jobaufnahme sei dies bei fast zwei von drei Betroffenen der Fall – bei rund 64 Prozent. „Diese Quote ist in den letzten Jahren stabil geblieben und sogar gestiegen“, so der Ministeriumssprecher.

Wagenknecht bemängelt, die Zahlen beantworteten die entscheidende Frage nicht: „Liegt es an den Betroffenen, die schlicht keine Motivation zu arbeiten haben? Liegt es an miesen Arbeitsbedingungen und unfairer Bezahlung? Oder bieten die Unternehmen immer noch viel zu viele befristete Stellen an beziehungsweise feuern nach Ablauf der Probezeit?“ Die BSW-Chefin fordert zugleich Sanktionen „für diejenigen, die sich lieber im Modell Bürgergeld plus Schwarzarbeit einrichten möchten“.

Dient das Bürgergeld also auch als zentraler Baustein für Menschen, die sich ihren Alltag möglichst so zusammenbasteln, dass sie ohne großen Aufwand gut durchkommen? Heils Sprecher stellt fest: „Es gibt keine Hinweise darauf, dass das Bürgergeld Menschen dazu verleitet, nach kurzer Zeit wieder in den Leistungsbezug zurückzukehren.“ Ausschlaggebend dafür, dass Menschen weiter auf Bürgergeld angewiesen sind, seien vielmehr „strukturelle Faktoren“. Angeführt werden etwa niedrige Löhne und Teilzeitarbeit.

Was ist der Hauptgrund für den längerfristigen Bezug von Bürgergeld?

„Dies liegt oft daran, dass das Erwerbseinkommen nicht ausreicht, um die Hilfebedürftigkeit der gesamten Bedarfsgemeinschaft zu überwinden“, so der Ministeriumssprecher. Viele Personen, die arbeiten, seien schlicht weiterhin auf aufstockende Leistungen angewiesen – wegen niedriger Löhne, Teilzeitarbeit oder großer Familien. „Besonders betroffen“, sagte Heils Sprecher, „sind hierbei Personen mit Kindern und geringen Entgelten, für die es schwierig ist, die Hilfebedürftigkeit vollständig zu überwinden.“

Daran hat sich in den vergangenen Jahren kaum etwas geändert. Sind heute etwa 50 Prozent der Personen, die bereits in den Arbeitsmarkt integriert sind, sechs Monate nach diesem Schritt weiterhin im Bürgergeld, so lag dieser Anteil 2019 und 2020 jeweils bei 46 Prozent. Der Anteil derer, die sechs Monate nach ihrer Integration weiterhin sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, ist im Vergleich zu 2019 um vier Punkte von damals 60 Prozent gestiegen. Auffällig laut Ministerium: Personen mit Berufsausbildung weisen eine höhere Quote der kontinuierlichen Beschäftigung auf. Sie verlassen den Leistungsbezug öfter. Dies fällt auch Alleinstehenden im Schnitt deutlich leichter als Personen mit Kindern.

Inwieweit rechnet sich Arbeit für Menschen mit Bürgergeld?

In aller Regel bekommt man mit Arbeit im Monat deutlich mehr aufs Konto als mit Bürgergeld. Allerdings lohnt sich ein Arbeitseinkommen für Beziehende von Leistungen nicht immer. Blickpunkt große Bedarfsgemeinschaften mit Erwerbseinkommen: Hier besteht oft ein Anspruch auf ergänzende Leistungen wie Bürgergeld, Kinderzuschlag oder Wohngeld. Wenn man das zusammennimmt, bekommen die Betroffenen oft nicht viel mehr Einkommen insgesamt zusammen, wenn sie eine bestehende Arbeit etwas ausweiten.

Heils Ministerium wollte genau wissen, wann sich Arbeit (nicht) lohnt – und gab ein Gutachten in Auftrag. Es liegt seit 2023 vor. Die Expertise der Institute ifo (München) und ZEW (Leipzig) zeigt: Mehrarbeit lohnt sich für Alleinerziehende oft nicht. Beispiel einer Mutter mit zwei Kindern: Ohne Arbeitseinkommen fließen demnach 2169 Euro Sozialleistungen, bei einem Minijob-Lohn von 520 Euro bleiben 2353 Euro auf dem Konto, bei 1000 Euro insgesamt 2823 Euro – aber bei 1500 Euro Arbeitseinkommen brutto nur wenig mehr. Nämlich 2907 Euro. Die Forscher schreiben: „Es existieren also nach wie vor Einkommensbereiche, in denen (...) sich zusätzliches Bruttoerwerbseinkommen kaum und mitunter sogar negativ auf das verfügbare Einkommen auswirkt.“

Wie könnte sich Arbeit für Bürgergeld-Beziehende mehr lohnen?

Die Forscher schlagen vor, den Gruppen, für die es sich aktuell wenig lohnt, mehr zu arbeiten, im Fall von Mehrarbeit das Bürgergeld nicht so stark wie heute zu kürzen. Denn bei ihnen sei eine Ausweitung der Beschäftigung derzeit finanziell wenig attraktiv, „weil die erhaltenen Sozialleistungen in der Folge stark sinken“. Eine solche Reform würde, so die Institute, die verfügbaren Einkommen von Transferempfängern in einigen Einkommensbereichen erhöhen. Erwerbsanreize und somit Beschäftigung könnten steigen. Der Staat müsse zwar mehr Bürgergeld bezahlen – aber könne auch mit mehr Steuereinnahmen rechnen.

Rechnerisch zu erwarten ist dies laut den Forschern bei Einpersonenhaushalten mit mehr als 520 Euro sowie Mehrpersonenhaushalten mit mehr als 2000 Euro Einkommen monatlich. Die Institute schlagen hierfür vor, die geltenden unterschiedlichen Kürzungsraten für das Bürgergeld im Fall eines höheren Arbeitslohns zu verringern. Die Betroffenen hätten so unterm Strich am Monatsende spürbar mehr auf dem Konto. (dpa)