Vor allem die hohen Energiekosten in Folge des Krieges in der Ukraine belasten die deutsche Industrie. Experten sehen den Standort Deutschland deshalb bereits vor einer düsteren Zukunft.
Rundschau-Debatte des TagesWas tun gegen die Wirtschaftsflaute?
Die deutsche Konjunktur schwächelt, aber was ist dran an den Alarmrufen aus der Wirtschaft und der Kritik an der Energiewende? Was taugen die vielen Lösungsvorschläge? Höchste Zeit für eine Bestandsaufnahme zur Konjunkturkrise und der Debatte über einen Ausweg.
Ist Deutschland noch am Kipp-Punkt, bereits auf der „Verliererstraße“ oder gar der Bremsklotz Europas? Die Warnungen vor einer Wirtschaftskrise überschlagen sich jedenfalls. Und dann kommt auch noch Ex-Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn mit dem niederschmetternden Befund, die grüne Politik befeuere den Klimawandel.
Wie steil geht es mit der Konjunktur bergab?
„Deutschland befindet sich wirtschaftlich auf der Verliererstraße“, dröhnt Industriepräsident Siegfried Russwurm. Tatsächlich ist die Frühjahrshoffnung verflogen. Der Internationale Währungsfonds prognostiziert für dieses Jahr ein Schrumpfen von 0,3 Prozent – das einzige Minus aller Industrieländer. Deutschland, der langjährige Konjunkturmotor der EU, ist zum Ballast geworden, „der Europa runterzieht“, wie das „Wall Street Journal“ titelt. Alle Konjunkturbarometer des Ifo-Instituts in München zeigen in die falsche Richtung.
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Warum sind die Konjunkturaussichten so düster?
Die Misere hat viele Gründe, nicht alle haben etwas mit der Ampel-Regierung zu tun. Da ist zunächst die Konsumflaute infolge der Inflation durch die explodierten Energie- und Produktionspreise als Folge des Ukraine-Krieges. Die Anhebung der Zinsen, mit denen die Zentralbanken die Inflation bekämpft, ist Gift für jede Konjunktur. Aber die nur mäßige internationale Nachfrage, insbesondere aus China, schwächt die Exportnation Deutschland stärker als Länder mit weniger Industrieproduktion.
Hinzu kommt, dass Elektroautos Made in Germany weder hierzulande noch international so richtig durchstarten und ausgerechnet die einstige Vorzeige-Branche ins Hintertreffen zu geraten droht. „Es sieht ganz danach aus, dass die Saure-Gurken-Zeit nicht mehr abwendbar ist“, unkt „Auto-Papst“ Ferdinand Dudenhöffer.
Ein paar Faktoren gehen klar auf das Konto der Politik. Dazu zählen bürokratische Lasten, Genehmigungsstaus, im internationalen Vergleich hohe Steuern und Sozialabgaben (also teure Arbeit) und nicht zuletzt eine große Verwirrung, die die Ampel-Regierung mit dem Heizungsgesetz und einer teils inkohärenten Subventionspolitik angerichtet hat. „Es gibt einfach zu viele Unklarheiten“, sagt Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie (IMK). Vor allem das führe zur Investitionszurückhaltung der Unternehmen.
Ist auch die Energiewende schuld?
Energieintensive Branchen ziehen der billigen Energie hinterher. Insofern war das günstige russische Gas ein erheblicher Standortvorteil. Das Abschalten der letzten Atomkraftwerke hat das Strom-Angebot verknappt. Immerhin sind Strom und Erdgas wieder preiswerter als vor einem Jahr, aber Gas kostet noch rund doppelt so viel wie vor dem Krieg. „Zur Wahrheit gehört, dass der Strom in Deutschland auch früher teurer war als in vielen anderen Ländern. Für drei Cent pro Kilowattstunde wie in den Golfstaaten konnten wir noch nie Strom erzeugen“, sagt der frühere Wirtschaftsstaatssekretär und heutige Chef des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz, Stefan Kapferer (FDP). Sein Fazit: Die Energiewende sei nicht schädlich, sondern komme zu spät. Je schneller mehr erneuerbarer Strom in Deutschland produziert werde, desto schneller würden die Energiepreise insgesamt sinken und dann auch auf Dauer. In Phasen von 100 Prozent erneuerbaren Quellen liege der Preis schon jetzt bei zehn Cent und weniger pro Kilowattstunde. Anfang der 2030er-Jahre werde das in vier bis fünf von sechs Stunden möglich sein.
Ist der Umstieg auf erneuerbare Energien schlecht für das Klima?
So sieht es Ex-Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn. Sein Argument: Steigen Deutschland und Europa von Öl, Gas und Kohle auf erneuerbare Energiequellen um, sinken die Weltmarktpreise für fossile Brennstoffe, was die Nachfrage in anderen Regionen befeuere. Emissionen seien nur zu senken, „wenn alle oder fast alle mitmachen“.
Der emeritierte Ökonomie-Professor macht das am Verbot von Verbrenner-Motoren fest: Das „ruiniert“ nicht nur die Industrie. „Das führt wegen der Umleitung der Öltanker (auch) nicht dazu, dass weniger Kohlenstoff emittiert wird. Der Klimawandel beschleunigt sich wegen des Verbrennerverbotes“, sagte er gestern der „Bild“-Zeitung und bereits im Februar unserer Redaktion. Tatsächlich ist die Förderung von Öl, Gas und Kohle aller Klimaschutzbemühungen zum Trotz nicht rückläufig.
Kanzler Olaf Scholz dreht das Sinn-Argument um. „Ich glaube, dass wir sogar einen großen zusätzlichen Wachstumsschub bekommen können“, sagte er auf seiner Sommerpressekonferenz. „Denn wenn erst einmal gezeigt wird, dass das geht, dass die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, Industrieland, weltweit mit modernsten Technologien wettbewerbsfähig sein kann, aber das Klima und die Biodiversität nicht schädigt, dann werden das alle anderen nachmachen wollen.“
Was sind die besten Ideen, für schnelleres Wachstum?
Besonders heiß wird über den Vorschlag von Wirtschaftsminister Robert Habeck für einen „Industriestrompreis“ von sechs Cent pro Kilowattstunde diskutiert. Das würde Dutzende Milliarden Euro kosten und soll energieintensive Branchen von einer Abwanderung abhalten. Die SPD ist dafür, Scholz aber nicht, die FDP ist strikt dagegen. Die Begründung dagegen liefert Ifo-Präsident Clemens Fuest: Energie werde in Deutschland dauerhaft teurer bleiben, weil anderswo mehr Wind und Sonne zu ernten seien. Das Land müsse sich mit dem Aderlass der „alten“ Industrie abfinden und ganz auf Zukunftstechnologien setzen.
Energiewende-Praktiker Kapferer sieht Deutschlands Zukunft als Industriestandort viel rosiger und verweist etwa auf die Ansiedelung von Tesla in Brandenburg: „Den Erneuerbaren-Ausbau voranzutreiben ist das beste Unterstützungsprogramm für unsere Industrie“, sagt er. Die Frage sei, bis wann genug erneuerbarer Strom fließe. „Das ist aber eine Frage von drei, vier Jahren.“ Wenn das stimmt, wäre es ein Argument für Habecks befristeten Industriestrompreis.
Ob sich Kanzler Scholz und seine Ampel noch mal auf einen „Wumms“ einigen, also richtig viel Geld ausgeben? Oder auf gezielte Investitionsanreize und Bürokratieabbau, auf mehr Markt und weniger Verbote? Das sind die Fragen der kommenden Wochen. Der Druck steigt Tag für Tag.