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Interview mit PolitikexperteWarum machen Wähler ihr Kreuz bei der AfD?

Lesezeit 5 Minuten
Fähnchen mit dem Logo der AfD

Fähnchen mit dem Logo der AfD

Wer wenig verdient, arbeitslos ist oder Kinder zu versorgen hat, hätte wohl das Nachsehen, wenn die Rechtspopulisten regieren würden. Politikwissenschaftler Kai Arzheimer erklärt, wieso trotzdem viele gegen ihre eigenen Interessen stimmen.

Der Höhenflug hält an: Seit Wochen kommt die AfD in bundesweiten Umfragen auf rund 20 Prozent. Kai Arzheimer (Foto) von der Universität Mainz erforscht rechtspopulistisches und rechtsradikales Wahlverhalten. Im Interview spricht der Politologe über die Merkmale von AfD-Wählern. Warum wird es immer schwieriger für andere Parteien, sie zu erreichen?

Mit welchen Motiven stimmen die Wähler der AfD für die Partei?

Hauptsächlich, weil sie Migranten und Zuwanderung ganz stark ablehnen. Und Ressentiments gegen Ausländer sind eben das Hauptthema der AfD.

Was sind die anderen Gründe?

In der Pandemie waren es die Corona-Maßnahmen. Aktuell ist es die Unterstützung der Ukraine. Hinzukommen die Debatten um den Klimaschutz und das Heizungsgesetz. Bei diesen Themen gibt es innerhalb der AfD-Wählerschaft auch unterschiedliche Ansichten. Aber sie finden praktisch niemanden, der die Partei wählt und die Zuwanderung von Migranten begrüßt.

Geht es auch um die Ablehnung des politischen Systems als Ganzes?

Da wäre ich etwas zurückhaltend. Allgemeine Systemfeindschaft gibt es durchaus bei einigen AfD-Anhängern. Was wir aber bei allen Wählern dieser Partei beobachten: Sie sind überdurchschnittlich unzufrieden und haben ein großes Misstrauen gegenüber Institutionen und führenden Politikerinnen und Politikern. Sie eint das Gefühl, dass früher alles besser war und dass wir in einem dysfunktionalen Land leben.

Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung stimmen AfD-Wähler gegen ihre eigenen Interessen. Das ist doch paradox.

Das ist gar nicht so ungewöhnlich. Wahlprogramme sind in Deutschland sehr umfangreich und komplex. Viele Bürgerinnen und Bürger kennen die Programme nicht im Detail – egal, welche Parteien sie wählen. Da kommt es dann eher auf Personen an oder welches Thema von zentraler Bedeutung ist. Und unter AfD-Anhängern ist das eben die Angst vor zu viel Zuwanderung. Dafür nehmen sie in Kauf, dass sie in anderen Bereichen benachteiligt werden.

Die AfD behauptet ja immer, sie sei die „Partei der kleinen Leute“. Dabei gilt ihre Sozialpolitik als überaus nationalistisch und neoliberal.

Genau, viele Wähler kommen aus der unteren Mittelschicht und würden von der Programmatik nicht im Geringsten profitieren, aber das spielt für diese Personen keine Rolle. Zum einen hängt das mit mangelnder Kenntnis des Wahlprogramms zusammen. Zum anderen wissen sie, dass es trotz der guten Umfragewerte extrem unwahrscheinlich ist, dass die AfD an der nächsten Bundesregierung beteiligt sein wird. Daher kann ihnen die Sozialpolitik auch egal sein.

Bundesweit liegt die AfD aktuell bei rund 20 Prozent. Wie schätzen Sie das Wählerpotenzial ein?

Ganz genau lässt sich das nicht vorhersagen. Jedoch hat eine Umfrage des Politbarometers aus dem Juni ergeben, dass 78 Prozent der Deutschen meinen, dass rechtsextreme Haltungen in der AfD weitverbreitet sind. Das stützt die Annahme, dass bei um die 20 Prozent das Ende der Fahnenstange erreicht sein dürfte.

Einer Umfrage des Instituts Allensbach zufolge wählen fast 50 Prozent der Menschen die AfD aus Protest.

Das fällt mir schwer zu glauben. Der Deutschlandtrend vom Juli hat gezeigt, dass fast 80 Prozent der Wähler aus inhaltlicher Überzeugung für die AfD stimmen. Das ist keine Protestpartei mehr. Wenn jemand die Partei aus Protest wählt, dann vielleicht die zwei bis drei Prozent, die in den vergangenen Wochen in den Umfragen noch dazugekommen sind.

Wie lässt sich der Höhenflug der AfD stoppen?

Erfahrungen aus dem Ausland haben gezeigt, dass es für Mitte-Rechts-Parteien fast aussichtslos ist, noch rechter aufzutreten, in der Hoffnung, Wähler zurückzulocken.

CDU und CSU scheinen gerade das zu versuchen.

Genau, obwohl es solche Ideen teilweise auch in der FDP gibt. Aus mehreren Gründen funktioniert diese Strategie nicht. Erstens: weil die Union dadurch selber an Stimmen verliert. Zweitens: weil das nicht glaubwürdig ist. Und drittens: weil viele Wähler das Original bevorzugen, wenn es um rechte Themen wie die Einschränkung des Asylrechts geht. Davon sollte die Union Abstand nehmen.

Also soll etwa die CDU nicht mehr Kritik an der Asylpolitik der Bundesregierung äußern dürfen? Das kann doch auch nicht die Lösung sein.

Natürlich kann sie das tun, sollte dabei aber das AfD-typische Vokabular vermeiden. Trotzdem stellt sich die Frage, ob es für die Union sinnvoll ist, sich auf dieses Thema zu fokussieren. Politbarometer-Untersuchungen zeigen, dass der Komplex Ausländer, Integration und Flüchtlinge im August für gut 22 Prozent der Befragten das wichtigste Problem in Deutschland darstellt – und das auch erst, seitdem wir im Zusammenhang mit den Umfragewerten der AfD darüber diskutieren. Für 35 Prozent der Menschen sind hingegen Themen wie Energieversorgung und Klimaschutz am wichtigsten.

Was müssen die etablierten Parteien jetzt tun, um Wähler von der AfD zurückzugewinnen?

Dafür gibt es kein Patentrezept und eine große Mehrheit der AfD-Wähler werden langfristig auch nicht mehr zu den etablierten Parteien zurückkehren. Aber ich plädiere dafür, dass die anderen Parteien in bestimmten Politikfeldern kompetenter auftreten. Die CDU hatte ihre Stärken stets in wirtschaftlichen Bereichen, auf die sollte sie sich wieder stärker fokussieren. Und anstatt sich ständig gegenseitig zu blockieren, sollte die Ampelkoalition ihre eigenen Erfolge besser verkaufen. Denn auch der öffentliche Streit innerhalb der Regierung befeuert den Eindruck vom Niedergang des Landes. Und genau davon zehrt die AfD.