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Rundschau-Debatte des TagesTut die Regierung zu wenig fürs Klima?

Lesezeit 4 Minuten
Zwei Autos stehen hintereinander. Aus dem vorderen Auspuff kommt Qualm raus.

Im Bereich des Verkehrs lagen die Treibhausgasemissionen laut UBA über dem Wert von 2021.

Der Verkehrssektor ist weiter das „Sorgenkind“ in Bezug auf die Klimaziele in Deutschland. Die Verantwortung sehen Verbände vor allem beim Verkehrsminister.

Die Bundesregierung will die Treibhausgas-Emissionen bis zum Jahr 2050 drastisch reduzieren. Neuen Zahlen des Umweltbundesamts zufolge sinken sie zwar leicht – doch der Verkehrssektor verfehlt seine Zielvorgabe und verzeichnet sogar einen Anstieg. Stimmt die Richtung trotzdem?

Die Ziele der Bundesregierung sind ambitioniert: Deutschland soll bis zum Jahr 2045 Treibhausgasneutralität erreicht haben. Neue Zahlen des Umweltbundesamts (UBA) zeigen zwar einen Fortschritt auf dem Weg dahin, doch scheint er zu klein zu sein.

Wie ist die aktuelle Lage?

Nach den Berechnungen wurden in Deutschland 2022 weniger Treibhausgase freigesetzt als im Vorjahr – die Emissionen sanken leicht um 1,9 Prozent. Es seien rund 746 Millionen Tonnen Treibhausgase freigesetzt worden, gut 15 Millionen Tonnen weniger als 2021. Dem UBA zufolge sind die Emissionen seit 1990 in Deutschland um 40,4 Prozent gesunken. Die Zahlen des UBA sind vorläufig – endgültige Werte stehen erst zu Beginn des kommenden Jahres fest. „Um die Ziele der Bundesregierung bis 2030 zu erreichen, müssen nun pro Jahr sechs Prozent Emissionen gemindert werden“, sagte UBA-Präsident Dirk Messner. „Seit 2010 waren es im Schnitt nicht einmal zwei Prozent.“

Welchen Anteil hat der Verkehr an den Treibhausgasen?

Im Bereich des Verkehrs lagen die Treibhausgasemissionen laut UBA mit rund 1,1 Millionen Tonnen (0,7 Prozent) über dem Wert von 2021 und 9 Millionen Tonnen über der im Bundesklimaschutzgesetz für 2022 zulässigen Jahresemissionsmenge von 138,8 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Der Verkehrssektor verfehle sein Ziel und verzeichne als einziger einen Emissionsanstieg gegenüber dem Vorjahr, erklärte das UBA. Nach Ansicht des Verkehrsministers Volker Wissing ist der Verkehrssektor trotz verfehlter Klimaziele auf einem guten Weg. „Die Antriebswende ist eingeleitet und ihr Hochlauf nimmt immer mehr zu“, sagte der FDP-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Er wies auf die steigende Zahl von E-Autos hin, den Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur, Förderprogramme zum Umrüsten von Dieselbussen und das Deutschlandticket. UBA-Präsident Messner pochte hingegen auf rasche Verkehrswende, ohne die die Klimaziele nicht zu erreichen seien. „Ich kann nicht mehr nachvollziehen, wie weiterhin Subventionen für Diesel oder den Flugverkehr gezahlt werden“, sagt er mit Blick auf den Verkehrssektor, den er als Sorgenkind bezeichnete. Messner bot Wissing an zusammenzuarbeiten. „Das läge mir sehr am Herzen“, sagte er. Umweltministerin Steffi Lemke begrüßte den Vorschlag und nannte ihn „eine hervorragende Idee“.

Welchen Einfluss hat der Energie- und Gebäudesektor?

Im Energiesektor sind die Treibhausgasemissionen dem UBA zufolge mit rund 10,7 Millionen Tonnen (4,4 Prozent) mehr als im Vorjahr 2021 deutlich gestiegen. Grund dafür seien die Einsparungen beim Erdgas – stattdessen setzte die Industrie vermehrt auf Stein- und Braunkohle. Aufwind erlebte dem UBA zufolge hingegen die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Diese stieg um 9 Prozent gegenüber 2021. Der Energiesektor könne seine Jahresemissionsmengen für 2022 von 257 Millionen Tonnen aber knapp einhalten. Bundesklimaschutzminister Robert Habeck zeigte sich überrascht von den Zahlen. „Ich hatte angesichts der Folgen des russischen Angriffskriegs mit schlechteren Zahlen im Energiebereich gerechnet. Denn schließlich haben wir im letzten Jahr eine Menge alter Kohlekraftwerke ans Netz nehmen müssen“, erläuterte der Grünen-Politiker in einer Mitteilung. Positive Nachrichten gab es dagegen im Gebäudesektor: Dort kam es 2022 zu einer Emissionsminderung von knapp sechs Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten (minus 5,3 Prozent). Nach Ansicht des UBA liegt dies wesentlich an Energieeinsparungen wegen gestiegener Energiepreise und mildem Wetter. Dennoch überschreitet der Sektor die erlaubte Jahresemissionsmenge gemäß Bundes-Klimaschutzgesetz. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) freute sich über den Rückgang. „Wir haben einen Richtungswechsel vorgenommen“, sagte die SPD-Politikerin in einer Mitteilung.

Wie bewerten Klimaschützer die Zahlen?

Umweltverbände sehen die vorläufigen Zahlen zu den Treibhausgasemissionen für 2022 als Beleg für eine verfehlte Klimapolitik und nehmen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für einen Kurswechsel in die Pflicht. Die Geschäftsführerin des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), Antje von Broock, sprach von einem Rechtsbruch der Koalition. Nur der Rückgang der Industrieemissionen rette die Klimaziele der Regierung. Sondereffekte wie ein milder Winter und die Auswirkungen des russischen Krieges gegen die Ukraine schönten die Bilanz. Der Präsident des Naturschutzbundes (Nabu), Jörg-Andreas Krüger, sieht Scholz in der Pflicht. Vom Verkehrsminister sei nicht zu erwarten, dass er in seiner Amtszeit noch ernsthafte Ambitionen zum Klimaschutz entwickele, sagte Krüger. Mit Blick auf Wissing fragte er: „Warten wir auf das Ende seiner Amtszeit oder erzwingt Bundeskanzler Scholz endlich die Wende?“ (dpa)


Stromhungrige E-Fuels

FDP-Verkehrsminister Volker Wissing plädiert für die Zulassung von Autos mit Verbrennungsmotoren auch nach 2035, die mit klimaneutralen Synthetikkraftstoffen (E-Fuels) betrieben werden. Deshalb ist die geplante Abstimmung der EU-Staaten zum Verbrenner-Aus gerade auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Aber ist zur Herstellung dieser E-Fuels überhaupt genug Strom vorhanden?

Der Ingenieur Joachim Berg, Professor für Elektrische Energietechnik an der Hochschule Flensburg, beziffert das ungelöste Energieproblem dabei so: Ein Pkw, der mit diesen E-Fuels fährt, verbrauche rund siebenmal so viel Strom wie ein Elektroauto. „Mir fehlt ganz einfach die Fantasie, wie das funktionieren soll“, sagt Berg. Er weist darauf hin, dass die Mobilität in Deutschland deutlich mehr Energie benötige, als Strom in der gesamten Republik erzeugt werde. Auch Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hält E-Fuels bei Autos für eine Scheinlösung mit zu hohem Stromeinsatz. (jol)