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Rundschau-Debatte des TagesSind wirklich Tausende neuer Stellen zur Kindergrundsicherung nötig?

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Ein Mensch sitzt vor einem Kindergeld-Antrag an einem Computer.

Ein Mensch sitzt vor einem Kindergeld-Antrag an einem Computer. Mit der Kindergrundsicherung soll das bisherige Leistungsangebot für Familien durch eine einzige Leistung für Kinder gebündelt werden.

Die Kindergrundsicherung gilt als das sozialpolitische Prestigeprojekt der Grünen. Ein Überblick über das Projekt zur Bündelung von Leistungen für Kinder aus Familien mit wenig Einkommen

Die geplante Kindergrundsicherung sorgt weiter für Ärger in der Koalition. Hauptstreitpunkt sind seit Tagen die 5000 neuen Behördenstellen, die Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) als Bedarf für das große Sozialvorhaben angemeldet hatte. Daran übt die FDP weiterhin scharfe Kritik – auch wenn Paus ihre Forderung am Wochenende bereits abgeschwächt und angedeutet hatte, dass perspektivisch auch weniger Stellen zur Umsetzung der Kindergrundsicherung denkbar wären.

Hebestreit: „Kein Bürokratiemonster“

Regierungssprecher Steffen Hebestreit trat am Montag dem Eindruck entgegen, mit der Reform solle ein Bürokratiemonster geschaffen werden. „Die komplette Bundesregierung strebt eine möglichst effiziente Lösung an“, erklärte Hebestreit. Es baue keiner „aus Jux und Dollerei einen großen Beamtenapparat auf“. Gleichzeitig bekräftigte er, dass die nötigen Stellen für die Kindergrundsicherung nicht dem Ziel der Bundesregierung widersprächen, Bürokratie abzubauen. Es sei „schwierig“, einen Zusammenhang zwischen den beiden Zielen herzustellen, da es der Bundesregierung bei der Kindergrundsicherung um nichts Geringeres als um die Bekämpfung von Kinderarmut gehe.

Zur Dimension der 5000 neuen Stellen verwies der Regierungssprecher auf die Berechnung der Bundesagentur für Arbeit, an die sich die Bundesregierung halten müsse, und die eine „Zielgröße“ sei. Die offenen Fragen zur konkreten Ausgestaltung würden derzeit im parlamentarischen Verfahren geklärt.

Lang: „Wird keine 5000 Stellen geben“

Am Sonntagabend hatte die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang gefordert, die Debatte über die benötigte Zahl neuer Behördenstellen zu beenden. Zuvor hatte Familienministerin Paus Einsparpotenziale benannt. „Damit ist klar, es wird keine 5000 neuen Stellen geben. Und so gibt es auch keinen Grund, dass die Debatte sich weiter an dieser Zahl aufhängt“, sagte Lang im ARD-„Bericht aus Berlin“. Die Frage, wie viele Stellen stattdessen nötig seien und wie die bestmöglichen Strukturen geschaffen werden könnten, sei Gegenstand der Beratungen im Bundestag in dieser Woche. „Und ich erwarte, dass da jetzt alle mal wieder ins Tun kommen.“

Paus: „Synergien durch Digitalisierung“

Paus hatte sich am Samstag um Deeskalation innerhalb der Ampel bemüht – indem sie nicht nur Verständnis für die Diskussion über die Stellenzahl äußerte, sondern das Projekt Kindergrundsicherung auch mit den FDP-Herzensanliegen Modernisierung und Digitalisierung verband. „Ich bin mir sicher, dass unter anderem durch Synergieeffekte und konsequente Digitalisierung die Gesamtzahl der Stellen noch reduziert werden kann“, erklärte die Grünen-Ministerin. Sie bekräftigte aber, ein Mehr an Personal sei erforderlich, damit sich die Behörde künftig „pro-aktiv an die Familien“ wenden könne, denen Leistungen zustünden. Millionen von Kindern gingen derzeit „im Behördendschungel unter“. Die Ministerin betonte zugleich, dass sie nicht vorhabe, eine neue Behörde zu schaffen. „Wir ertüchtigen die Familienkasse“, sagte sie. „Wir ermöglichen durch Digitalisierung, dass Familien aktiv angesprochen werden, wenn sie eben Anspruch haben auf zusätzliche Leistungen.“

BA: Neue Einschätzung zum Bedarf?

Auf Nachfrage konnte das Ministerium am Montag zunächst keine näheren Angaben dazu machen, welches Einsparpotenzial Paus bei den Stellen konkret für möglich hält. Offen blieb zunächst auch, ob die Bundesagentur für Arbeit (BA) zum voraussichtlichen Stellenbedarf eine neue Einschätzung vornehmen wird. In der Stellungnahme zum Gesetzentwurf hatte die BA im November von zusätzlichen „5355 Vollzeitäquivalenten“ gesprochen, die für die Umsetzung der Kindergrundsicherung nötig seien. Das ergäbe doppelt so viel Personal wie in der heutigen Familienkasse, heißt es dort außerdem.

Auf Anfrage teilt die BA zudem mit, dass rund 5800 Beschäftigte aktuell für die Berechnung und Auszahlung von Kindergeld und Kindergeldzuschlag zuständig seien. Insgesamt werde das Kindergeld derzeit bundesweit für 17, 2 Millionen Kinder ausgezahlt – eine Million erhalte zusätzlich den Kinderzuschlag.

Djir-Sarai: „Entwurf überarbeiten“

Nach den Klarstellungen zur Stellenzahl forderte die FDP von Paus am Montag einen geänderten Gesetzentwurf zur Kindergrundsicherung. Er hoffe, „dass das jetzt überarbeitet wird“, sagte Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Das Geld solle in die Kinder investiert werden „und nicht in Verwaltung und Bürokratie“. FDP-Parteivize Johannes Vogel sagte, er nehme zur Kenntnis, dass Paus nun über Ziele spreche, nachdem sie sich „immer wieder mit der Forderung nach Stellen oder Milliarden zu Wort gemeldet“ habe. Das Ziel sei nicht, „den Sozialstaat fetter zu machen, sondern wir müssen ihn ja fitter machen“.

Djir-Sarai warnte zugleich davor, mit der Kindergrundsicherung falsche Signale an die Familien zu senden. Anders als Paus sehe er bei Sozialleistungen keine „Bringschuld“ des Staates. „Meine Vorstellung ist, dass wir auf Eigenverantwortung setzen und die Eigenverantwortung an der Stelle stärken“, betonte Djir-Sarai. Kern von Kinderarmut in Deutschland sei in der Regel die Erwerbslosigkeit der Eltern. „Da müssen wir ran und die Anreize schaffen, damit die Menschen zurückkehren können zum Arbeitsmarkt.“

SPD: „Komplexität unterschätzt“

Aber auch aus der SPD kommen inzwischen Stimmen, die unzufrieden mit dem bisherigen Gesetzentwurf sind. „Die Kindergrundsicherung ist ein komplexes sozialpolitisches Vorhaben mit vielen Schnittstellen zu anderen Sozialleistungen“, sagte Fraktionsvizechef Sönke Rix. Diese Komplexität habe die Bundesregierung unterschätzt. „Der Gesetzentwurf lässt viele Fragen offen“, kritisierte er. Die Fraktionen seien aber in guten Gesprächen dazu. Er sei überzeugt, dass sich die Probleme mit dem Willen aller Beteiligten lösen ließen. (dpa/mit afp)