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Rundschau-Debatte des TagesWarum ist Deutschland mögliches Anschlagsziel?

Lesezeit 5 Minuten
Vor dem Pontifikalamt im Kölner Dom wird das Domumfeld von Einsatzkräften der Polizei mit Maschinenpistolen stark bewacht.

Sicherheitsbehörden trafen vor und nach den Feiertagen Schutzmaßnahmen am Dom.

Im Zusammenhang mit möglichen Terrorplänen im Umfeld des Kölner Doms geht es auch um den IS-Ableger ISPK. Deutschland ist für die Bewegung attraktiv.

Zwei Personen, die im Zusammenhang mit dem Verdacht auf Terrorpläne im Umfeld des Kölner Doms festgenommen wurden, stammen aus Tadschikistan. Nach dpa-Informationen sehen Ermittler mögliche Verbindungen zur Organisation „Islamischer Staat Provinz Khorasan“ (ISPK). Sieben Personen, die unter dem Verdacht von Bezügen zum ISPK stehen, hatte die Generalbundesanwaltschaft im Juli festnehmen lassen, auch von ihnen kamen vier aus Tadschikistan. „ISPK, diesen Begriff sollten Sie sich merken“, empfahl schon im Juni 2023 Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang, der angesichts laufender Ermittlungen kein aktuelles Statement abgeben möchte.

Welchen Zusammenhang gibt es zwischen dem ISPK und Tadschikistan?

„Khorasan ist eine historische Provinz, die Teile Afghanistans, aber auch des heutigen Tadschikistans und Usbekistans umfasste und bereits unter dem dritten Kalifen muslimisch wurde“, so Professorin Susanne Schröter von der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Die Bezeichnung nehme insofern Bezug auf die Frühzeit des Islam, zeige aber auch auf: „Der IS akzeptiert nicht die jetzigen Staatsgrenzen. Man möchte Nationalgrenzen auflösen und nimmt Bezug auf alte, historische Gebilde. “

Wie stehen die Organisationen ISPK und IS zueinander?

Bereits 2014 habe die Terrororganisation IS verschiedene Regionen definiert und Gruppen mit entsprechender Zuständigkeit gebildet, erklärt die Ethnologin Schröter. „Damals bestand der IS im Irak und Syrien schon gut anderthalb Jahre“, ergänzt Islamforscher Dr. Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP): „Es war eine bewusste Entscheidung des IS, diese Ableger zu gründen.“ Es sei davon auszugehen, dass ISPK finanzielle Zuwendungen von der IS-Zentrale erhalte und insofern keine unabhängige Organisation sei.

Nach Einschätzung Steinbergs kopiert der afghanische Ableger ein charakteristisches Vorgehen des IS: In Europa befindliche Menschen werden virtuell kontaktiert und für Anschläge gewonnen. Mit ihnen besprechen dann Akteure in den IS-Heimatgebieten mögliche Anschlagsziele, helfen bei der Wahl der Tatmittel und beraten zur Zusammenstellung von Sprengstoffen. „Es ist durchaus möglich, dass es in Köln ähnlich war“, so Steinberg, betont aber: Genaue Kenntnisse darüber liegen noch nicht vor.

Sind die Verdächtigen schon radikalisiert nach Deutschland eingereist?

Zum jetzigen Zeitpunkt ist dazu nichts Genaues bekannt, so Steinberg: „Wir wissen nur von einigen, dass sie aus der Ukraine kamen, aber nicht, ob sie zuvor bereits aus dem Irak und Syrien geflohen sind. Die Ukraine wurde 2018 und 2019 von IS-Leuten als Rückzugsort diskutiert, weil sie ihre Grenzen nicht effektiv kontrollierte und die Behörden so korrupt waren. “

Nach Einschätzung von Ethnologie-Professorin Schröter kommen einige der möglichen Extremisten aus dem Ausland, während andere aus Deutschland stammen und möglicherweise auf den Krieg in Nahost reagieren: „Deutschland steht auf der Seite Israels und ist dadurch ein mögliches Ziel von jihadistischen Anschlägen geworden. Das ist kritisch, auch wenn es nur ein kleiner Kreis von Akteuren ist.“

Warum sind Ziele in Deutschland für mögliche Anschläge interessant?

„Es ist Teil der IS-Agenda, in Staaten des Westens Anschläge durchzuführen, um zu destabilisieren und zu zeigen, dass man handlungsfähig ist, um Muslime für die eigenen Ziele zu rekrutieren“, so Susanne Schröter: „Anschläge sind ein kommunikatives Mittel.“

Darüber hinaus gibt es eine finanzielle Bedeutung, so Steinberg:„Es gibt weltweit Dutzende jihadistische Organisationen, die miteinander um Führungspositionen, Geld und Rekruten konkurrieren. Nur, wer in der Lage ist, die eigene Stärke nachzuweisen, kommt an Spendengelder und an Rekruten.“ Auch habe aufgrund der kaum reglementierten Asylpolitik hätten viele IS-Anhänger unkontrolliert nach Deutschland einreisen können. Der IS schaffe es besonders, Zentralasiaten zu gewinnen, die in den letzten Jahren nach Deutschland eingereist sind: Sie sollen laut Ermittlungsbehörden entweder mit dem Flüchtlingsstrom 2014 bis 2016 gekommen sein oder ab 2022. Auch Schröter konstatiert: „Die Einreisebewegungen sind unkontrolliert.“

Welche politischen Ziele verfolgt die Gruppe ISPK?

Langfristig strebt ISPK ebenso wie andere Organisationen des sogenannten „Islamischen Staates“ die Weltherrschaft an – da sind sich beide Forscher einig. Kurz- und mittelfristig gilt: „Der IS in Afghanistan und Pakistan will zunächst einmal gegen sehr starke Gegner überleben und dort einen islamischen Staat begründen. Gleichzeitig will er in der jihadistischen Szene dominieren“, so Steinberg. Schröter sieht eine globale Agenda für islamische Länder, perspektivisch aber auch für ehemals muslimische Gebieten wie den Balkan und für Regionen, in denen viele Muslime leben.

Wie kann der Westen sich vor den Aktivitäten des IS und seiner Ableger schützen?

Ein möglicher Ansatz wäre es, die wirtschaftlichen Mittel der Terroristen einzufrieren. „Der IS verfügt über solide Finanzen. Auch in Afghanistan gibt es keinerlei Hinweise auf finanzielle Schwierigkeiten des IS“, sagt Islamforscher Steinberg. Um den Finanzstrom zu blockieren, könne man versuchen, „erst einmal die Finanzierungsnetzwerke zu identifizieren und die wichtigsten Finanziers zu töten. Oder eben zu verhaften. Das übernehmen momentan größtenteils die Amerikaner, weil das Geld aus Ländern wie dem Irak und Syrien kommt, oder auch Somalia, nicht so sehr aus Europa.“ Einer der wichtigsten Finanziers sei vor einigen Monaten in Somalia von Amerikanern getötet worden. Zusätzlich ließen sich Anschlagsrisiken migrationspolitisch beeinflussen: „Natürlich könnten wir die Gefahr hierzulande etwas geringer halten, etwa durch Grenzkontrollen. Eigentlich eine Banalität, in Deutschland aber eben nicht.“

Wie ist das Verhältnis zwischen ISPK und anderen islamischen Organisationen?

Die Anhänger der Gruppe Islamischer Staat streben langfristig eine globale Alleinherrschaft an. Kooperationen mit anderen Zusammenschlüssen, auch solchen aus dem jihadistischen Spektrum, lehnen sie daher ab. In Afghanistan richten sich ihre terroristischen Aktivitäten gezielt gegen die Taliban, welche – anders als der IS – national orientiert sind. Eine zusätzliche Besonderheit des IS und seiner Ableger ist die Orientierung an einem salafistischen Islamverständnis.


Salafismus als religiöse Ausprägung des IS

Ein salafistisches Islamverständnis ist die religiöse Basis der Anhänger von IS und ISPK: Sie glauben, den wahren Islam zu leben, indem sie sich an Vorfahren (arabisch: „salaf“) aus der Zeit des Propheten Mohammed orientieren. In Deutschland leben laut Bundesamt für Verfassungsschutz rund 11.000 Salafisten.

Das Spektrum reicht von einer weltabgewandten Frömmigkeit über missionarisches Streben bis hin zum gewaltbereiten Jihadismus, „‚den‘ Salafismus gibt es nicht“, schreibt Dr. Laura Dickmann-Kacskovics in „Junge Salafitinnen in Deutschland“.

Als der IS 2014 im Irak und Teilen von Syrien das Kalifat ausrief, zog das auch deutsche Salafisten an. Aktuell sei eine solche Entwicklung kein Thema, so Dr. Guido Steinberg: „Im Moment haben wir es eher mit einem importierten Phänomen aus dem Raum der ehemaligen Sowjetunion zu tun.“ (jot)