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Interview

Kramp-Karrenbauer
„Kirchen und CDU begegnen sich seit Längerem mit mehr Distanz“

Lesezeit 6 Minuten
Ex-Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU)

„Gläubige sind kritische Menschen“, sagt Annegret Kramp-Karrenbauer.

Die Kritik an den jüngsten Initiativen zur Migrationspolitik fiel heftig aus – auch aus den Spitzengremien von Katholiken und Protestanten. Ex-CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer zog daraus persönliche Konsequenzen.

Als CDU-Chef Friedrich Merz Ende Januar zwei Abstimmungen im Bundestag notfalls mit Stimmen der AfD gewinnen wollte, gehörten die großen Kirchen zu seinen schärfsten Kritikern. Besonders das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) tat sich dabei hervor, in dem auch Annegret Kramp-Karrenbauer saß. Anfang Februar trat die frühere CDU-Chefin dann von allen ZdK-Ämtern zurück. Was sagt das über das Verhältnis der Kirchen zur Union aus?

Frau Kramp-Karrenbauer, wann haben Sie das letzte Mal gebetet?

Heute Morgen.

Wofür?

Gebete sind für mich etwas sehr Persönliches und Privates.

Wie würden Sie Ihr persönliches Verhältnis zum Christentum beschreiben?

Es ist für mich etwas sehr Wichtiges, was mich durch mein Leben trägt. Ich bin wahrscheinlich das, was man eine Wald- und Wiesen-Katholikin nennt, also ganz durchschnittlich. Ich bin damit groß geworden, es hat bei uns zu Hause einfach ganz normal zum Leben gehört, ohne dass es jetzt theologisch-intellektuell groß durchdrungen worden wäre. Es war ein Volksglauben im besten Sinne.

Wie würden Sie wiederum Ihr Verhältnis zu den Kirchen beschreiben?

Meine Mutter hat immer gesagt, Kirche ist wie Familie. Man kann vielleicht nicht alle leiden, findet vielleicht nicht alles gut, aber man tritt auch nicht aus. Auch ich kann mir nicht vorstellen, in meinem Fall die katholische Kirche zu verlassen, auch wenn es dort viele Dinge gibt, mit denen ich nicht zufrieden bin.

Welche?

Für jemanden wie mich, der sich in seinem politischen Leben immer auch für das Thema Frauen und Frauenrechte eingesetzt hat, ist das zum Beispiel die Rolle der Frauen. Da ist, freundlich formuliert, noch sehr viel Luft nach oben. Wenn man mal die Augen schließt und sich alle Frauen wegdenkt, die in der Kirche aktiv sind, dann wäre nicht mehr viel übrig. Hinzu kommen Fragen wie die zähe Aufarbeitung des Missbrauchsskandals, die wir auch im ZdK oft kritisiert haben.

Sie waren lange Mitglied des ZdK, des Laiengremiums der katholischen Kirche, sind aber im Zuge der Migrationsdebatte vor zwei Wochen ausgetreten. Warum?

Das ZdK hat die migrationspolitische Debatten innerhalb meiner Partei, der CDU, schon länger sehr kritisch gesehen. Das ist etwas Normales, das war immer schon so, und das habe ich auch immer gut ausgehalten. Was für mich jetzt der Grund war, auszutreten, war die neue Tonalität, mit der diese Kritik vorgetragen wird. Man hält die eigene Position für die einzig richtige, und von der aus wird mit dem erhobenen Zeigefinger auf alle anderen herabgeredet: ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp hat Friedrich Merz unter anderem vorgeworfen, nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen. Damit wird einfach zur Seite gelegt, dass es in der Gesellschaft und ganz sicher auch unter Katholiken nun einmal Diskussionen über die Migration gibt: darüber, wie wir an den Grundrechten festhalten können und vielleicht trotzdem restriktiver werden müssen. Dieser apodiktische Ton hat für mich etwas Verurteilendes, und das möchte ich nicht mehr mittragen.

Hat Sie der Ton denn überrascht?

Er hat mich enttäuscht. Das ZdK war für mich immer einer der wenigen Orte, wo man auch schwierige Debatten im gegenseitigen Respekt führen kann. Das wäre so wichtig, gerade in der heutigen Zeit. Übrigens fand ich die Positionierung auch nicht ganz konsistent: Zu anderen Themen, wo ich mir durchaus ein paar deutlichere Worte gewünscht hätte, zur Solidarität mit Israel zum Beispiel oder zu Fragen des Lebensschutzes, habe ich keine so entschiedenen Statements in Erinnerung.

Man hört häufig den Vorwurf, das ZdK und überhaupt die Kirchen in Deutschland seien zu Vorfeldorganisationen der Grünen geworden. Schwer zu entkräften, oder?

Ich würde das so krass nicht sagen wollen, weil die Grünen und die Kirchen nach wie vor natürlich auch unterschiedliche Standpunkte vertreten. Aber gerade in der Gesellschaftspolitik, etwa in der Frage von Geschlechterrollen oder der sexuellen Identität, hat sich das schon angenähert. In gleicher Weise sehe ich, dass sich Kirchen und CDU seit Längerem mit mehr Distanz begegnen.

Vor den Abstimmungen im Bundestag, die CDU-Chef Friedrich Merz zur Not auch mit Stimmen der AfD bestreiten wollte, haben die politischen Büros der katholischen und der evangelischen Kirche vor diesem Schritt gewarnt. Welchen Stellenwert hat so ein Protestbrief für CDU- und CSU-Abgeordnete eigentlich noch? Die Gesellschaft ist doch sowieso zunehmend entkirchlicht.

Die Union hat eine große Bandbreite an ganz unterschiedlichen Mitgliedern. Da finden Sie alles, von den sehr aktiven Christinnen und Christen aus dem evangelischen und aus dem katholischen Umfeld über Angehörige anderer Glaubensrichtungen bis hin zu bekennenden Atheisten. Aber all diese Menschen nehmen natürlich wahr, dass die Kirchen in vielen Fragen die ausdrückliche Nähe zur Union suchen. Das spürt man etwa beim Streit um den Abtreibungsparagraphen 218, aber eben auch bei Themen wie Hospiz, Sterbebegleitung, Sterbehilfe und so weiter. Wir sind da ein ganz wichtiger Ansprechpartner für die Kirchen. Insofern wiegt es schon nach wie vor schwer, wenn auf einmal bei einem konkreten Vorhaben so deutlich auf Distanz gegangen wird.

Im Februar 2024 hat die Deutsche Bischofskonferenz eine Erklärung ausdrücklich gegen die AfD verabschiedet. Darin hieß es: „Rechtsextreme Parteien und solche, die am Rande dieser Ideologie wuchern, können für Christinnen und Christen daher kein Ort ihrer politischen Betätigung sein und sind auch nicht wählbar.“ Wie fanden Sie das?

Das war eine ganz strikte Positionierung, die durchaus zu Diskussionen geführt hat: Auch uns im ZdK war damals natürlich bewusst, dass es AfD-Mitglieder gibt, die auch Mitglieder in Kirchengemeinden sind. Ich finde die Erklärung letztendlich trotzdem richtig, weil es darin um das Menschenbild geht, das die AfD vertritt. Es ist eine Ideologie, in der die Würde und der Wert des Menschen sehr stark festgemacht werden an gewissen Kriterien wie Herkunft, Hautfarbe, möglicherweise Geschlecht oder auch Religion. Das widerspricht wirklich diametral dem, wofür wir Christen einstehen oder einstehen sollten.

Die Bischöfe nutzen ihre religiöse Autorität, um gläubigen Menschen zu sagen, was sie wählen sollen: Das finden Sie nicht übergriffig?

Es war schon immer so, dass viele Bischöfe oder auch Pastoren am Wahlsonntag dazu aufgefordert haben, wählen zu gehen. Und sie haben die Gläubigen auch immer schon dafür sensibilisiert, ihre Wahlentscheidung am eigenen Glauben zu spiegeln. Ich finde, das ist ihr gutes Recht. Die Gläubigen sind ja trotzdem kritische, selbstständige Menschen, und die Zeiten, in denen sie zu allen kirchlichen Verlautbarungen Ja und Amen gesagt haben, sind zum Glück lange vorbei. Insofern ist das AfD-Papier der Bischöfe ein Hinweis in der Diskussion gewesen, den die Gläubigen in ihre Überlegungen zu ihrer Wahlentscheidung einbeziehen können, wenn sie wollen. Nicht mehr und nicht weniger.

Interview: Lucas Wiegelmann