Joachim Stamp soll Abkommen mit anderen Ländern schließen und so helfen, die Flüchtlingszahlen zu reduzieren. Der FDP-Politiker warnt aber vor zu hohen Erwartungen und will einen härteren Kurs.
Interview mit Joachim Stamp„Abschiebungen sind ein notwendiges Signal in die Heimatländer“
Seine Arbeit ist heikel, die Erfolge sind überschaubar: Seit Februar dieses Jahres ist Joachim Stamp Sonderbevollmächtigter der Bundesregierung für Migrationsabkommen. Der FDP-Politiker soll Verträge aushandeln, die Zuwanderern ohne Bleiberecht ermöglichen, in ihre Heimatländer zurückzukehren. Als Ex-Integrationsminister von NRW weiß Stamp: Das ist nicht einfach. Wie will er es trotzdem schaffen?
Herr Stamp, Sie sind seit acht Monaten für den Abschluss von neuen Migrationsabkommen zuständig, warnen aber vor zu hohen Erwartungen. Trauen Sie sich selbst so wenig zu?
Nein, das ist nur eine realistische Betrachtung. Meine Arbeit wirkt eher mittel- und langfristig. Deutschland hat in der Vergangenheit viele Rücknahmeabkommen geschlossen, nicht alle haben in der Praxis funktioniert. Wichtig ist, dass wir dauerhafte Migrationspartnerschaften mit Ländern aufbauen – für die Rückführung wie auch für die Anwerbung von notwendigen Arbeitskräften. Das ist ein dickes Brett und wird Zeit in Anspruch nehmen.
Sie sagen, dass es falsch sei, darauf zu hoffen, mehr Abschiebungen durch Migrationsabkommen zu erreichen. Aber genau dafür sind diese doch da, oder?
Da haben Sie mich falsch verstanden. Im Gegenteil: Abschiebungen sind ein notwendiges Signal in die Heimatländer, dass Asylanträge ohne triftige Gründe nicht zum Erfolg führen.
Es heißt, dass Sie mit Georgien, Moldau, Kenia, Kolumbien, Usbekistan und Kirgisistan über Abkommen beraten. Aus diesen Staaten kommt aber nur ein kleiner Teil der Menschen, die hier Asyl beantragen. Das ist doch keine Lösung!
Einspruch! Aus Georgien und Moldau kommen allein über zehn Prozent abgelehnter Asylanträge in Deutschland. Darum sind beide Länder für mich prioritär. Aus Kolumbien kommen derzeit mehr Asylbewerber als aus jedem der nordafrikanischen Länder. Das Bundesinnenministerium bespricht fortlaufend mit allen relevanten Ländern weltweit das Rückführungsmanagement. Wir können aus diplomatischen Gründen auch gar nicht alle Gesprächspartner nennen. Der neue Ansatz, mit Ländern Migrationspartnerschaften zu entwickeln, ist umfassender, weil er auch dringend notwendige legale Migration von Arbeitskräften umfasst. Dabei ist das Entscheidende nicht nur das Abschließen eines Dokuments, sondern eine substanzielle Zusammenarbeit.
Ihre Erfolgsbilanz ist ja eher begrenzt. Woran scheitert es in der Praxis?
Unsere ersten Monate waren positiv. Wir führen erfolgreich Gespräche und konkrete Verhandlungen mit wichtigen Herkunftsländern, für Anwerbung wie Abschiebung. Es gehört aber zur Wahrheit, dass wir mit Syrien und Afghanistan, wo Präsident Assad und die Taliban herrschen, derzeit keine Vereinbarungen schließen können und von dort weiterhin viele Menschen kommen.
Selbst von den Grünen – also aus Ihrer Koalition – kam jüngst die Kritik, es müsse endlich Fortschritt bei den Rückführungsabkommen geben.
Erstaunlich. Die Grünen wollten zunächst Georgien und Moldau nicht als sichere Herkunftsstaaten einstufen, was die Rückkehr wesentlich einfacher macht. Das hat die Migrationsabkommen mit beiden Ländern verzögert. Daher trifft die Kritik der Grünen-Vorsitzenden allein ihre eigene Partei.
Viele Bürger sind der Meinung, dass die Bundesregierung bei der Zuwanderung die Hebel, die sie besitzt, nicht ausreichend nutzt. Stimmt das?
Die aktuelle Situation liegt nicht an der Migrationspolitik der Ampel, sondern in erster Linie an Russlands Überfall auf die Ukraine und anderen internationalen Konflikten, vor denen viele Menschen nach Europa fliehen.
Wie sollte die Ampel darauf reagieren?
Deutschland muss seine Migrationspolitik noch stärker verändern. Wir wollen Verfolgten helfen und Arbeitskräfte gewinnen, müssen aber irreguläre Migration so stark wie möglich unterbinden. Ich befürworte, wenn die Länder bei den Sozialleistungen auf eine Bezahlkarte umstellen würden, mit der kein Geldtransfer in die Heimatstaaten möglich ist. Das würde auch meine Arbeit erleichtern, weil die Herkunftsländer eher bereit wären, Ausreisepflichtige zurückzunehmen. Weitere Maßnahmen sind notwendig, wie etwa den Ausreise-Gewahrsam zu verlängern, damit vor der Abschiebung nicht abgetaucht wird.
Und wie ist den Kommunen zu helfen?
Ich schlage vor, dass alle Bundesländer mit zusätzlichen zentralen Ausländerbehörden die Kommunen entlasten. Ich hatte als Minister in Nordrhein-Westfalen die zentralen Ausländerbehörden verdoppelt und damit Erfolg. Das entlastet die kommunalen Ausländerbehörden bei Abschiebungen und beim Einwanderungsmanagement.
Sie sind auch für Grenzkontrollen?
Wir brauchen einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen. Die Schließung der Balkan-Route in Kombination mit der EU-Türkei-Erklärung hat 2016 die Migration drastisch reduziert. Beides sollte erneut in Angriff genommen werden. Und tatsächlich Verfolgte müssen besser in Europa verteilt werden. Deshalb sind die Verhandlungen zum Gemeinsamen europäischen Asylsystem von großer Bedeutung.
Bei den jüngsten Landtagswahlen hat die AfD in Bayern und Hessen stark hinzugewonnen – mit dem Hauptthema Zuwanderung. Macht Ihnen das Sorge?
In einer extrem schwierigen politischen Lage mit dem Überfall auf die Ukraine, Nachwehen der Pandemie, Inflation, Klimawandel und eben auch irregulärer Migration haben die Bürger manchmal das Gefühl, dass der Staat in seinen Antworten zu kompliziert und langsam ist. Da staut sich etwas auf und das hat bei einem Teil der Bürger zu einer solchen Wutwahl geführt. Darum müssen die demokratischen Parteien entschlossener handeln.