Plant der Kreml tatsächlich, nukleare Anti-Satelliten-Waffen im All zu stationieren? Medienberichte über entsprechende Geheimdiensterkenntnisse sorgen bei der Nato für Unruhe.
Rundschau-Debatte des TagesWill Russland zur Atommacht im All werden?
Die Nato muss sich möglicherweise auf eine zusätzliche Bedrohung durch Russland vorbereiten. Nach Berichten mehrerer US-Medien haben amerikanische Geheimdienste Informationen über neue atomare Ambitionen Russlands im Weltall. Diese Fähigkeiten könnten sich demnach gegen Satelliten richten und so die nationale wie internationale Sicherheit bedrohen.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte am Donnerstag am Rande des Nato-Treffens mit seinen Amtskollegen in Brüssel, ihm lägen bislang keine Erkenntnisse darüber vor, dass Russland atomare Anti-Satelliten-Waffen im Weltraum stationieren wolle. Er kündigte an, dass er sich mit Partnern darüber austauschen werde. „Diese Meldungen sind meines Wissens sehr, sehr neu, jedenfalls für mich“, räumte er ein. Pistorius warnte allerdings davor, vorschnell Antworten zu geben. „Wir müssen die technischen Fragen klären und dann sehen, was daraus folgert“, sagte er.
Gefahr für militärische Kommunikation
Nach Informationen der „New York Times“ sind die jetzt diskutierten nuklearen Fähigkeiten Russlands noch in der Entwicklung und bislang nicht zum Einsatz gekommen. Eine akute Gefahr bestehe daher nicht. Der Sender Fox News berichtete, mit einem Einsatz nuklearer Systeme gegen Satelliten ließe sich möglicherweise militärische Kommunikation und Aufklärung der USA ausschalten. Es gab zunächst keine offizielle Bestätigung für die Berichte. Die „New York Times“ schrieb zudem, die USA hätten den Kongress und Verbündete in Europa über die Pläne Moskaus informiert. Denkbar ist allerdings, dass in Europa zunächst nur Großbritannien eingeweiht wurde. Mit diesem Land pflegen die Amerikaner eine besonders enge geheimdienstliche Kooperation.
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Kreml: USA verfolgen innenpolitische Ziele
Der Kreml warf der US-Regierung vor, mit dem gezielten Streuen der Information politische Ziele zu verfolgen. „Es ist offensichtlich, dass das Weiße Haus mit allen Tricks und Raffinessen versucht, den Kongress zur Abstimmung über das Gesetz zur Bereitstellung von Geld (für die Ukraine) zu bewegen“, sagte Sprecher Dmitri Peskow der Nachrichtenagentur Interfax.
Bei dem angesprochenen Geld handelt es sich um Waffenhilfe für die von Russland angegriffene Ukraine. Nach einem monatelangen Streit zwischen Demokraten und Republikanern hat der US-Senat vor wenigen Tagen die Freigabe der Mittel bewilligt. Allerdings muss noch das Repräsentantenhaus zustimmen – und ob es dazu kommt, ist fraglich. In der zweiten Kammer des US-Parlaments haben die Republikaner das Sagen. Abgeordnete vom rechten Rand der Partei stemmen sich vehement gegen weitere Hilfen für die Ukraine.
Nato befasst sich seit Jahren mit Szenarien
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wollte sich am Donnerstag zunächst nicht näher zu dem Thema äußern. Er bestätigte in Brüssel lediglich, dass ständig Geheimdienstinformationen ausgetauscht würden. Man habe Auswirkungen neuer Erkenntnisse stets im Auge.
Um auf Angriffe gegen Satelliten besser reagieren zu können, hatte die Nato bereits 2021 beschlossen, dass Angriffe aus oder im Weltraum künftig nach Artikel 5 zur kollektiven Verteidigung als Bündnisfall behandelt werden können – also so, wie zuvor Angriffe am Boden oder im Luft-, See- oder Cyberraum. Begründet wurde das unter anderem damit, dass Angriffe auf Satelliten im Fall eines Krieges genutzt werden könnten, um Teile des öffentlichen Lebens lahmzulegen. So könnten etwa die Abwicklung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs, Handynetze oder Navigationssysteme für den Straßen-, See- und Luftverkehr beeinträchtigt werden.
Atomwaffen auf Umlaufbahn verboten
Weil es der internationale Weltraumvertrag verbietet, Atomwaffen auf einer Erdumlaufbahn zu platzieren, wird aktuell davon ausgegangen, dass sich keine nuklearen Waffen im All befinden. Ganz klar ist dies aber nicht, da einige Raummissionen recht undurchsichtig sind. Allgemein gilt, dass der Weltraum auch militärisch genutzt werden kann – nicht aber, um mit Gewalt Konflikte auszutragen.
Sicher ist, dass eine explodierende Atombombe auf einer erdnahen Umlaufbahn enorme Schäden anrichten würde. Sämtliche Elektronik, etwa Satelliten für Kommunikation, Navigation oder Erdbeobachtung, würden zerstört. Resistent gegen einen solchen Angriff wären lediglich besonders gesicherte Satelliten, von denen es aber mutmaßlich nicht viele gibt.
Zielgerichte Angriffe gegen einzelne Satelliten scheinen mit Nuklearwaffen derzeit nicht möglich. Sollte eine Atombombe im All gezündet werden, würde eine Raumfahrtnation damit auch ihre eigene Weltraum-Infrastruktur in Mitleidenschaft ziehen. Gezielt werden Satelliten derzeit mit Cyberattacken oder Blendversuchen vom Boden aus angegriffen.
Auch Europa treibt Forschung voran
Forschung zu Nuklearwaffen im Weltraum gibt es nicht nur in Russland, sondern auch in Europa und den USA. Atomwaffentests im All gab es dagegen lediglich zu Beginn der Raumfahrtära Anfang der 1960er Jahre. Weitere Testzündungen sind heute durch den Kernwaffenteststopp-Vertrag untersagt.
Denkbar ist, dass Russland als Abschreckung und gezielte Überschreitung von Abkommen eine Atomwaffe ins All setzen könnte, ohne sie tatsächlich zu zünden. Ebenso möglich ist aber, dass die Debatte auf einem Missverständnis beruht: Die Berichte über die Pläne des Kreml könnten sich auf atombetriebene Satelliten beziehen, wie Russland sie bereits in der Vergangenheit genutzt hat, oder auf eine nuklear betriebene Station, nicht aber auf Waffen.
US-Abgeordnete versuchen zu beruhigen
Mehrere Abgeordnete aus dem US-Repräsentantenhaus, die in Geheimdienstinformationen eingeweiht werden, bemühten sich, der Aufregung entgegenzuwirken. Sie betonten, ohne auf Inhalte einzugehen, es handele sich zwar um eine ernste Angelegenheit, aber keineswegs um eine akute Krise. Auch der republikanische Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, versicherte: „Es besteht kein Grund zur öffentlichen Beunruhigung.“ Der kanadische Verteidigungsminister Bill Blair nannte die Berichte beim Nato-Treffen in Brüssel hingegen besorgniserregend. (dpa)