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Rundschau-Debatte des TagesWie lässt sich die Schülerarmut bekämpfen?

Lesezeit 4 Minuten
Ein fünfjähriger Junge sitzt an einem roten Tisch und zählt sein gespartes Taschengeld.

Lehrkräfte uberichten von einem sichtbaren Anstieg der Kinderarmut.

Kinder und Jugendliche sind in Deutschland überaus stark von Armut bedroht. Das zeigt sich deutlich auch an den Schulen, wie eine neue Studie bestätigt.

Ein großer gesellschaftlicher Konflikt wie die Kinderarmut spiegelt sich an Schulen oft im Kleinen. Hier fehlt das Federmäppchen oder Schreibheft, dort das Pausenbrot, der eine wird kurz vorm Schulausflug stets krankgemeldet, die andere war noch nie im Museum, geht nicht zum Kinderarzt oder kann nicht schwimmen. Lehrerinnen und Lehrer sind da so etwas wie ein Frühalarm, weil sie fast täglich mit den Kindern und Jugendlichen zusammen sind, so eine repräsentative Forsa-Befragung im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung. Sie beobachten demnach, dass die Armut der Eltern auch bei den Jungen und Mädchen im Klassenzimmer immer deutlichere Spuren hinterlässt. Kinderarmut ist aus Sicht der Lehrkräfte in allen sozialen Lagen präsenter als im Jahr zuvor, wie die neueste Ausgabe des Schulbarometers der Stiftung zeigt.

Die Beobachtungen

Jede dritte Lehrkraft gab in der am Mittwoch – dem Weltkindertag – veröffentlichten Befragung an, Kinder und Jugendliche machten sich häufiger Sorgen um die finanzielle Situation ihrer Familie als bislang, in sozial benachteiligten Lagen ist es sogar jede zweite (48 Prozent). Ebenfalls mehr als jede Dritte (37 Prozent) nimmt fehlendes oder unzureichendes Schulmaterial wie Hefte oder Bücher wahr, häufiger als früher kommen Schüler auch ohne Frühstück in die Schule (30 Prozent). Ein Viertel der Lehrkräfte berichtet, ihre Schüler nähmen seltener an mehrtägigen Klassenfahrten teil. Und 16 Prozent stellen häufiger als im vergangenen Jahr fest, dass ihre Schüler das Essensgeld gar nicht oder zu spät bezahlen können.

Die Meinung der Experten

Ein „dramatisches Ergebnis“ sei das, sagt Dagmar Wolf, die den Bereich Bildung der Robert-Bosch-Stiftung leitet. „Armut ist für Betroffene äußerst schambehaftet“, so Wolf. Eltern, Kinder und Jugendliche hätten Strategien, um die eigene prekäre finanzielle Lage nicht öffentlich sichtbar werden zu lassen. „Sie empfangen beispielsweise keinen Besuch zu Hause oder reichen bei außerschulischen und mit Kosten verbundenen Aktivitäten kurzfristig eine Krankmeldung ein.“

Wolf warnt zudem vor den Folgen der Armut: „Arme Kinder werden zu oft zu armen Erwachsenen. Dieser Kreislauf muss durchbrochen werden“, sagt sie. „Fehlendes Geld im Elternhaus verhindert die Teilhabe junger Menschen am sozialen und kulturellen Leben. Das hat auch Auswirkungen auf die psychosoziale Gesundheit.“ Pädagogen müssen laut der Expertin „armutssensibel“ werden und sich bewusst sein, dass es Familien mit begrenzten finanziellen Mitteln gibt. „Sie müssen nicht nur in der Lage sein, die Auswirkungen von Armut auf Kinder und Jugendliche zu erkennen, sondern auch Stigmatisierungen entgegenwirken.“ Armut lasse sich Kindern nicht immer ansehen. Deshalb müssten Lehrkräfte die Quote der Schüler aus Sozialtransfer-Familien kennen, sagt Wolf. „Sie müssen wissen, wo es zu Hause Schwierigkeiten gibt, um sensibel vorgehen zu können.“

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) spricht von einer „gefährlichen“ Entwicklung. „Das ist eine Schande für ein reiches Land wie Deutschland“, sagt der VBE-Bundesvorsitzende Gerhard Brand. Schülerinnen und Schüler gehörten bereits in Corona-Zeiten zu den Hauptleidtragenden, das dürfe sich in der Inflation nicht wiederholen.

Die Folgen im Unterricht

Kinderarmut ist keineswegs die einzige Baustelle der Lehrkräfte im Klassenzimmer, aber sie kann die Quelle sein für weitere Konflikte, wie auch das jüngste Schulbarometer wieder zeigt. Auffallend ist, dass Befragte vor allem das Verhalten der Schüler nennen, wenn es um die größte Herausforderung in ihrem Beruf geht (34 Prozent). Mehr als drei Viertel der Lehrkräfte beobachten Konzentrationsprobleme in ihren Klassen (81 Prozent). Ungefähr ebenso viele klagen über zu starken Online-Gebrauch zum Beispiel durch Handys (79 Prozent), zwei von drei sind es sogar an den Grundschulen (66 Prozent). Jede dritte Lehrkraft (31 Prozent) nimmt Ängste bei den Kindern und Jugendlichen wahr. Die meisten machen sich auch Sorgen wegen Motivationsproblemen (70 Prozent) oder Aggressivität (27 Prozent), allerdings haben diese Werte im Vergleich zur Corona-Pandemie abgenommen.

Eine Gegenmaßnahme

Einen Hebel sieht Sabine Walper, Direktorin des Deutschen Jugendinstituts in München, in der gezielten Sozialarbeit, die aus ihrer Sicht deutlich stärker ausgebaut werden muss. „Dass es eine Not gibt und den dringenden Bedarf, die Unterstützung für Schulen in sozial schwachen Lagen auszubauen, wird sehr, sehr deutlich“, sagt sie. „Wir sehen, wie stark Armut verbreitet ist und wie sehr sie hineinragt in die Verhaltensentwicklung.“ (dpa)