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Rundschau-Debatte des TagesWie groß ist die Gefahr durch Rechtsextremismus in NRW?

Lesezeit 3 Minuten
Ein Teilnehmer einer rechtsextremen Kundgebung trägt schwarze Springerstiefel mit weißen Schnürriemen, einem weit verbreitetem Symbol der rechten Szene.

Ein Teilnehmer einer rechtsextremen Kundgebung trägt schwarze Springerstiefel mit weißen Schnürriemen, einem weit verbreitetem Symbol der rechten Szene. 

Der Rechtsextremismus in NRW zeigt sich zunehmend digital und intellektuell. Jugendliche sind dabei die Hauptzielgruppe rechtsextremer Rekrutierung.

„Die größte Bedrohung für Leib und Leben“ sei heute der Islamismus. „Aber der Rechtsextremismus bleibt die größte Bedrohung für unsere Demokratie“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Mittwoch bei der Vorstellung des ersten „Lagebildes Rechtsextremismus“ für Nordrhein-Westfalen. Die wichtigste Erkenntnis: Die Straftaten der politisch motivierten Kriminalität im Bereich rechts sind im vergangenen Jahr stark gestiegen – um rund 60 Prozent.

Wie tritt der Rechtsextremismus heute in Erscheinung?

„Bei Rechtsextremismus denken viele an Männer im mittleren Alter mit Glatze, schwarzen Bomberjacken, Reichskriegsflagge. Tatsächlich ist Rechtsextremismus viel mehr als das. Er ist heute moderner, jünger, digitaler, engagierter, intellektueller“, sagte Reul. Dieser Extremismus sei zu einer Art „Erlebniswelt“ geworden, besonders für junge Leute. Denn junge Menschen, insbesondere junge Männer, seien die wichtigste Zielgruppe: schnell zu begeistern, politisch noch nicht gefestigt, noch auf der Suche nach Zusammenhalt und Anerkennung.

Wie haben sich die Fallzahlen in Nordrhein-Westfalen entwickelt?

2024 zählten die Behörden in NRW 5641 Straftaten durch Rechtsextremisten gezählt. Im Vorjahr waren es 3549. In 78 Prozent der Fälle habe es sich um Propagandadelikte (3511) und Volksverhetzung (839) gehandelt. Die Anzahl der Gewaltdelikte durch Rechtsextreme stieg dem Lagebild zufolge mit 154 Straftaten gegenüber dem Vorjahr (2023: 116) ebenfalls um 33 Prozent an. In den meisten Fällen (94 Prozent) handelte es sich hier um Körperverletzungen (145). Rechte Hasskriminalität stieg um 43 Prozent von 1432 auf 2049 Straftaten an. Auch der Anteil der Tatverdächtigen in der Altersgruppe der 14- bis 17-Jährigen hat sich erhöht. 287 Jugendliche in 2024 im Vergleich zu 100 im Jahr zuvor.

Wie rekrutieren Rechtsextreme heutzutage neue Anhänger?

Der Rechtsextremismus mobilisiere viele Menschen insbesondere über die sozialen Medien, hält das Lagebild fest. Die rechte Radikalisierung geschehe – ähnlich wie islamistische Radikalisierung – heute immer öfter online. „Rechtsextremistischer Lifestyle“ bedeute zum Beispiel Präsenz auf Gaming-Plattformen. Rechtsextremisten mischten sich in die Welt der Video- und Computerspiele, denn die Zahl der Spieler gehe in die Millionen.

Im Kommen seien auch so genannte „Active Clubs“: „Die kommen ursprünglich aus den USA und haben auch hier immer mehr Zulauf. Junge Erwachsene werden dort beeinflusst und in die rechtsextremistische Szene integriert. Man macht zusammen zum Beispiel Ausflüge oder geht auf Konzerte“, so Reul. Rechte nutzen auch Künstliche Intelligenz: Mit dem Instagram-Profil „Lara – die blonde Rebellin“ verbreitet eine vermeintlich 16-jährige Schülerin rechtsextreme Inhalte. Tatsächlich handele es sich um eine KI-generierte Kunstfigur, so das Innenministerium.

Welche Ideologie wird von den entsprechenden Kanälen verbreitet?

Zur rechten Radikalisierung gehöre der „ganz andere, absurde Blick auf die Welt“, so der Innenminister. Da werde nur zwischen Freund und Feind unterschieden, zwischen Muslim oder Nicht-Muslim, zwischen Jude oder Nicht-Jude. Es werde Hass geschürt auf Sinti und Roma, auf Politiker demokratischer Parteien oder auf Journalisten. Ein Teil dieser gewaltbereiten Szene folge dabei der Tradition des historischen Nationalsozialismus, wie Reul es ausdrückte. „Unsere eigene Vergangenheit muss uns schon Lehrmeister sein“, ergänzte der Innenminister.

Was hilft gegen die weitere Ausbreitung von Rechtsextremismus?

Drei Punkte nannte Herbert Reul: Erstens Prävention: Menschen, vor allem junge, müssten über die „Falle“ Rechtsextremismus aufgeklärt werden. Zweitens Repression: Das heißt: Konsequente Verfolgung von Straftaten, Verbot von extremistischen Vereinen, Entzug von Waffenerlaubnissen. Telekommunikationsunternehmen müssten verpflichtet werden, extremistische Kommunikation zu entschlüsseln, auch dann, wenn die Daten im Ausland gespeichert seien. Schließlich dürften „die Befugnisse der Sicherheitsbehörden der Technik und dem Verhalten der Nutzer nicht hinterherhinken“. Hass und Hetze in sozialen Medien könnten nur verhindert werden, wenn Nutzer, die Straftaten begehen, auch identifiziert würden. Die Betreiber sozialer Medien wie X oder Tiktok müssten dazu verpflichtet werden, solche Inhalte selbst aufzuspüren und zu löschen. Drittens gesamtgesellschaftliche Verantwortung: „Der beste Verfassungsschutz besteht aus mündigen Bürgerinnen und Bürgern, die für ihre Demokratie eintreten“, so Reul.