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Rundschau-Debatte des TagesMacht Schwedens Nato-Beitritt Europa sicherer?

Lesezeit 4 Minuten
Budapest: Der ungarische Premierminister Viktor Orban (M) nimmt an der Parlamentssitzung vor der Abstimmung über die Ratifizierung der schwedischen NATO-Mitgliedschaft teil.

Der ungarische Premierminister Viktor Orban (M) nimmt an der Parlamentssitzung vor der Abstimmung über die Ratifizierung der schwedischen Nato-Mitgliedschaft teil.

Mit dem Antrag auf Mitgliedschaft in der Militärallianz gibt das skandinavische Land nicht nur seine jahrzehntelange Blockfreiheit auf. es bedeutet tiefgreifende Veränderung.

Nach monatelangem Ringen hat das ungarische Parlament den Weg für Schwedens Beitritt zur Nato frei gemacht. Mit dem wegen des Ukraine-Kriegs gestellten Antrag auf eine Mitgliedschaft in der Militärallianz gibt das skandinavische Land nicht nur seine Jahrzehnte lange Blockfreiheit auf. Er bedeutet auch für das Militärbündnis und das geopolitische Gleichgewicht in der Region tiefgreifende Veränderungen.

Welche Position nahm Schweden bislang ein?

Seit dem Ende der Napoleonischen Kriege zu Beginn des 19. Jahrhunderts verfolgte Schweden eine Politik der Neutralität. Im Nachgang des Kalten Krieges wurde daraus eine militärische Blockfreiheit. Zwar unterstützte das Land internationale Friedensmissionen mit Soldaten, seit mehr als 200 Jahren war Schweden jedoch nicht mehr an einem Krieg beteiligt. Der letzte militärische Konflikt war der Schwedisch-Norwegische Krieg im Jahr 1814.

In den vergangenen Jahrzehnten knüpfte das Land zwar immer engere Verbindungen zur Nato. So trat es zum Beispiel 1994 der Partnerschaft für den Frieden und 1997 dem Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat bei. Eine Nato-Vollmitgliedschaft galt aber vor allem unter Schwedens Sozialdemokraten lange als Tabu. Der damalige Verteidigungsminister Peter Hultqvist erklärte noch im Herbst 2021, er könne „garantieren“, dass er sich niemals an einem Beitrittsverfahren beteiligen werde.

Warum will Schweden nun in die Nato eintreten?

Der Entschluss erfolgte im Frühjahr 2022 als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Mit breiter Mehrheit stimmte das Parlament damals für einen schwedischen Antrag auf die Mitgliedschaft, der im Mai 2022 gemeinsam mit dem des Nachbarlandes Finnland eingereicht wurde. Die Finnen konnte der Nato dann im April 2023 beitreten, die Schweden mussten jedoch wegen Blockaden der Türkei und Ungarns weiter warten.

Zuletzt war Ungarn der einzige Nato-Mitgliedstaat, der dem Beitrittsgesuch noch nicht zugestimmt hatte. Das Land hatte zunächst erklärt, es unterstütze eine Aufnahme Schwedens – hielt den Kandidaten dann jedoch monatelang hin, unter anderem mit der Begründung, Schweden „verunglimpfe“ die Regierung von Premierminister Viktor Orbán und werfe ihr Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit vor. Nachdem das Parlament in Budapest nun grünes Licht gegeben, muss der Präsident das Beitrittsprotokoll noch unterzeichnen. Dann kann Schweden seine Beitrittsurkunde in Washington hinterlegen, um offiziell als 32. Mitglied in das Bündnis aufgenommen zu werden.

Wie stark ist das schwedische Militär?

Während das Land lange Zeit sehr stark in die Verteidigung investierte, wurden die Ausgaben Regierungsangaben zufolge nach Ende des Kalten Krieges massiv zurückgefahren. 2020 betrugen sie demnach nur 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Im Zuge der russischen Invasion in die Ukraine kündigte die Regierung jedoch an, die Ausgaben „so bald wie möglich“ auf zwei Prozent anheben zu wollen. In diesem Jahr soll das Ziel sogar überschritten werden. Das schwedische Militär besteht aus rund 50000 Soldaten, von denen etwa die Hälfte Reservisten sind. Die Luftwaffe verfügt über mehr als 90 selbst entwickelte Gripen-Kampfjets, die Ostseemarine des Landes umfasst mehrere Korvetten und U-Boote.

Welche weiteren Vorteile bringt der Beitritt für die Nato?

Schweden ist laut Robert Dalsjo, Analyst der schwedischen Forschungsagentur für Verteidigung (FOI), „das letzte Puzzlestück auf der Karte der Nato in Nordeuropa“. Gemeinsam mit Finnland ist die Ostsee nun von Mitgliedstaaten des Militärbündnisses umgeben – mit Ausnahme Russlands. Einige Experten sprechen bereits vom „Nato-Meer“.

Die Mitgliedschaft ermöglicht Schwedens vollständige Integration in die Verteidigungspläne des Bündnisses. Nicht nur die lange Ostseeküste des Landes, sondern auch die Insel Gotland spielen dabei eine zentrale Rolle. Russland hat ebenfalls einen wichtigen Außenposten in der Ostsee: die Exklave Kaliningrad, das frühere ostpreußische Königsberg zwischen Polen und Litauen. Moskau hat die Region in den vergangenen Jahren militärisch massiv aufgerüstet und dort atomwaffenfähige Raketen stationiert. Kaliningrad ist zudem Stützpunkt der russischen Ostseeflotte, die dort immer wieder große Manöver abhielt.

Kopfzerbrechen bereitete der Nato jahrelang die sogenannte Suwalki-Lücke zwischen Polen und Litauen, die sich an Kaliningrad anschließt. Im Kriegsfall könnten Russland und sein Verbündeter Belarus den 65 Kilometer breiten Landstreifen besetzen und dem Baltikum so die Nachschubwege über Land abschneiden, fürchten Strategen. Schwedens Beitritt mindert dieses Risiko, denn er erleichtert die Seeverteidigung von Litauen, Lettland und Estland.

Was heißt die Mitgliedschaft für Schwedens Verteidigung?

Als Mitglied der Nato ändert sich das militärische Kalkül in wichtigen Aspekten. Schweden sei lange Zeit von der Annahme ausgegangen, sich selbst verteidigen zu müssen, sagt Jan Henningson, Forscher am FOI. Das ändere sich jetzt. Laut Dalsjo muss das Land lernen, „ein Teamplayer zu sein“. „Und wir müssen uns darauf einstellen, dass wir nicht nur schwedisches Territorium, sondern auch verbündetes Territorium verteidigen wollen“, betont er.

Schwedens Armeechef Jonny Lindfors verspricht sich durch die Nato-Mitgliedschaft seines Landes eine neue militärische Ausgangslage im Falle eines Konflikts. „Es wird eine ziemlich beeindruckende Truppe sein, die hoffentlich die geballte Macht von 32 Ländern von der Türkei im Süden bis hinauf nach Spitzbergen haben wird“, sagte er im Dezember der Zeitung „Dagens Nyheter“. Dies werde das Risiko eines Konflikts verringern. (afp)