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Rundschau-Debatte des TagesWie gefährlich ist Tiktok wirklich?

Lesezeit 4 Minuten
Lustiger Zeitvertreib oder Spionage-App? An Tiktok scheiden sich die Geister.

Lustiger Zeitvertreib oder Spionage-App? An Tiktok scheiden sich die Geister.

Rund eine Milliarde Menschen nutzen die scheinbar harmlose Video-App weltweit. Allerdings gibt es massive Datenschutzbedenken – und Befürchtungen über einen Zugriff des chinesischen Staates.

Die Beamten der Europäischen Kommission und die Regierungsbeschäftigten in den USA oder Kanada gehören nicht gerade zur Kern-Zielgruppe von Tiktok. Der Kurzvideo-Dienst aus dem chinesischen ByteDance-Konzern ist mit seinen viral verbreiteten Inhalten vor allem bei Teenagern beliebt, die sich um die Sicherheitsbedenken der Regierungen weniger Sorgen machen. Doch nach der Anweisung, Tiktok von den Diensthandys zu löschen, steht erneut ein generelles Verbot des Dienstes in den westlichen Ländern im Raum.

US-Konzerne ausgekontert

Die bisherige Erfolgsgeschichte von Tiktok hat vor allem die großen Social-Media-Konzerne im Silicon Valley kalt erwischt. Insbesondere beim Facebook-Konzern Meta versucht man seit Monaten fieberhaft, mit einem ähnlichen Konzept eine Antwort für den Überraschungserfolg aus China zu finden. Auch Youtube tat sich zunächst schwer, die Tiktok-Offensive zu kontern. Im Sommer 2021 stellte die Google-Plattform Youtube Shorts vor, ein Format, das stark an Tiktok erinnert. Nur Twitter, das einst mit Periscope Vorreiter beim Livestreaming von Videos war, ist bis heute eine Antwort schuldig.

Viele Apps, die du verwendest, tun das Gleiche, darunter Facebook und Instagram sowie scheinbar harmlose Apps, die keinen Bedarf an den Daten haben.
Bruce Schneier, US-Sicherheitsexperte

70 Prozent der Jugendlichen in den USA nutzen angeblich Tiktok bereits. Mit dem Aufstieg des Dienstes meldeten sich auch immer wieder warnende Stimmen zu Wort, die einen Abfluss der Benutzerdaten nach China befürchteten.

Bedenken in Deutschland

Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber sieht Tiktok kritisch. Bereits im Juni 2021 empfahl der Datenschützer den Bundesministerien und -behörden, die Video-App des chinesischen Anbieters nicht auf dienstlichen Geräten einzusetzen. Das Ergebnis einer angekündigten umfangreichen Analyse steht allerdings noch aus. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) formuliert seine Bedenken auch eher vage: „Grundsätzlich ist bekannt, dass zahlreiche Apps Daten an die jeweiligen Hersteller wie auch an Dritte übermitteln.“

Mindestens so groß wie die Gefahr vor Spionage ist das Risiko einer gezielten Beeinflussung der öffentlichen Meinung in westlichen Gesellschaften. Nicht zuletzt vor Wahlen.
Rüdiger Trost, Sicherheitsfirma WithSecure

Härter fällt das Urteil von Rüdiger Trost aus, der bei der Sicherheitsfirma WithSecure arbeitet: Er schätze Tiktok als „sehr gefährlich“ ein, sagt der Experte. „Der Algorithmus von Tiktok benachteiligt gezielt Individuen, die nach westlichem Verständnis eines besonderen Schutzes bedürfen.“ So würden etwa Videos von Behinderten auf Tiktok gezielt seltener ausgespielt.

Als problematisch sieht Trost auch die Verbindung zur Regierung des Herkunftslandes: „Ereignisse, die dem chinesischen Staat nicht gefallen, fallen der Zensur zum Opfer.“ Vieles an Tiktok sei mit dem westlichen Verständnis von Menschenwürde, Gleichberechtigung, freier Meinungsäußerung und Minderheitenschutz nicht in Einklang zu bringen. „Mindestens so groß wie die Gefahr vor Spionage ist das Risiko einer gezielten Beeinflussung der öffentlichen Meinung in westlichen Gesellschaften. Nicht zuletzt vor Wahlen.“

Republikaner streben Verbot an

Tiktok will Vorwürfe wie diese nicht im Raum stehen lassen. Sprecher des Konzerns behaupten immer wieder, die Daten der Anwenderinnen und Anwender aus den USA würden in den Vereinigten Staaten verarbeitet, Backup-Server befänden sich in Singapur. Tiktok sei auch unabhängig gegenüber dem in Peking sitzenden Firmenteil von ByteDance. Doch viel Eindruck haben diese Beteuerungen im politischen Washington nicht hinterlassen. Insbesondere Vertreter der Republikanischen Partei behandeln Tiktok so, als hätten sie es direkt mit einem Dienst der Kommunistischen Partei Chinas zu tun.

Die Tiktok-feindliche Haltung hat bei den Republikanern schon Tradition. 2020 drohte der damalige US-Präsident Donald Trump mit dem generellen Verbot von Tiktok, wenn ByteDance den Dienst nicht an den US-Softwarekonzern Oracle verkaufe. Trump sah die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten bedroht, ohne allerdings auf Details einzugehen. Tiktok setzte sich rechtlich zur Wehr, bis Trumps Nachfolger Joe Biden die Übernahmepläne stoppte und die Maßnahmen seines Vorgängers einkassierte.

Deine Daten werden von Datenmaklern gekauft und verkauft, von denen du noch nie etwas gehört hast und die wenig Skrupel haben, wo die Daten landen.
Bruce Schneier, US-Sicherheitsexperte

Doch vom Tisch sind die Verbotspläne in den USA noch lange nicht. In einem großen Gesetzespaket zur Absicherung des staatlichen Haushalts brachten zwei republikanische US-Senatoren jetzt das Verbot der App auf den Dienst-Smartphones der Regierungsbeschäftigten unter. Eigentlich streben sie aber ein komplettes Verbot von Tiktok in den USA an – und werden dabei auch von einzelnen Vertretern der Demokratischen Partei unterstützt.

Nicht nur Tiktok sammelt Daten

Der renommierte US-Sicherheitsexperte Bruce Schneier hält die Verbotspläne für „eine schreckliche Idee“. „Die Nebenwirkungen wären unerträglich“, schrieb Schneier in seinem Blog. Am Ende würden alle wirksamen Optionen für ein Verbot von Tiktok das freie Internet, wie wir es kennen, zerstören.

Es bestehe kein Zweifel, dass Tiktok und ByteDance zwielichtig seien, so Schneier. „Sie arbeiten, wie die meisten großen Unternehmen in China, im Auftrag der chinesischen Regierung. Sie sammeln extrem viele Informationen über ihre Nutzer.“ Aber Tiktok sei nicht allein: „Viele Apps, die du verwendest, tun das Gleiche, darunter Facebook und Instagram sowie scheinbar harmlose Apps, die keinen Bedarf an den Daten haben. Deine Daten werden von Datenmaklern gekauft und verkauft, von denen du noch nie etwas gehört hast und die wenig Skrupel haben, wo die Daten landen. Sie haben digitale Dossiers über die meisten Menschen in den Vereinigten Staaten.“

Der Experte setzt sich für ein wirksames Datenschutzgesetz in den USA ein, mit dem die Verbraucherinnen und Verbraucher langfristig geschützt werden könnten, „und nicht nur vor der App der Woche“. (dpa)