Dank KI steht das autonome Fahren ganz kurz vor dem Durchbruch, sagt der Präsident des Kraftfahrtbundesamtes. Die deutsche Politik ruft er im Interview auf, dafür rasch die Weichen zu stellen.
Debatte des TagesWerden Busse ohne Fahrer bald normal sein?
Wann werden die ersten fahrerlosen Roboter-Busse Leute von A nach B bringen?
Richard Damm: Das wird nicht mehr lange dauern. 2026, spätestens 2027 werden selbstfahrende Robo-Busse in den ersten Städten in Deutschland unterwegs sein und Fahrgäste transportieren. Es gibt mehrere Projekte in der Erprobung, aber noch hat das KBA keine Genehmigung für den kommerziellen Einsatz erteilt, das gilt übrigens für ganz Europa.
Berlin, München, Hamburg: Wer wird den Startschuss geben?
Hamburg beabsichtigt bis 2030 10000 Shuttle-Busse auf der Straße zu haben. Dazu gibt es das politische Bekenntnis des Verkehrssenators und des Bundesverkehrsministeriums sowie ein Konzept, um das neue Angebot sinnvoll in den ÖPNV zu integrieren. Neben VW ist die etablierte US-Firma Mobileye mit im Boot. Die Hamburger sind hier ein gutes Vorbild für andere Städte.
Es fehlen fast 80000 Busfahrer im Land. Sind selbstfahrende Shuttles die Rettung?
Nicht im nächsten, nicht im übernächsten Jahr. Es ist zu erwarten, dass es in fünf bis zehn Jahren einen breiten Einsatz selbstfahrender Busse und Lkw geben wird, die ganz ohne Fahrer unterwegs sind. Es wird sich für Verkehrsunternehmen und Speditionen auf jeden Fall lohnen, wenn die notwendigen Voraussetzungen dafür geschaffen sind. In den USA sind viele Logistikunternehmen dabei, für Langstrecken auf autonome Lkw zu setzen und sich dafür Partner zu suchen. Das erwarte ich auch für den Hub-to-Hub-Verkehr in Deutschland.
Ganze Flotten aus Robo-Bussen schon in fünf Jahren, das ist schwer vorstellbar …
…aber nicht unrealistisch. Die Anschaffung ist zwar teuer, aber die Vorteile, die gewonnene Flexibilität, sind riesig: In Stoßzeiten können Konvois gebildet werden, zwei, drei oder mehr Shuttlebusse hängen aneinander. Während der Schule oder Arbeitszeit oder in den Abendstunden, parken sich die überzähligen Busse ein, und nur noch ein Shuttle fährt, also bedarfsgerecht. Das bringt entscheidendes Sparpotenzial. Noch nicht alle Verkehrsbetriebe haben das ausreichend im Blick, sollten aber diesen Möglichkeiten mehr Beachtung schenken.
Braucht es nicht zu viel Personal, um die Flotten zu überwachen und im Notfall fernzusteuern?
Das Verhältnis stimmt derzeit noch nicht. Beispiele zeigen, dass für den Betrieb von 100 autonomen Fahrzeugen bis zu 2000 Mitarbeitende gebraucht werden. Durch künstliche Intelligenz sind die Herausforderungen hier künftig lösbar. Schon bald wird nicht mehr jedes Fahrzeug live von einer Person überwacht werden müssen, weil die Technologie schnell voranschreitet und intelligente Warn-Kaskaden etabliert werden können.
Und wann kommen Robotaxis, also selbstfahrende Pkw, nach Deutschland?
Beim Oktoberfest gab es gerade ein Pilotprojekt der TU München zum autonomen Fahren. Ich habe das aus der Ferne aufmerksam beobachtet. Es ist toll, dass das autonome Fahren – Fachleute sprechen von Level 4 – auch bei uns in Gang kommt. Wir müssen uns nicht gegenüber anderen Playern und Ländern verstecken.
Na ja, in San Francisco, London und Peking sind Level-4-Autos längst im Einsatz …
Wir müssen differenzieren. Bei Level-3-Autos, bei denen noch ein Fahrer an Bord sein muss, der die Kontrolle aber an das Fahrzeug abgeben kann, sind Mercedes und BMW führend. Es gibt weltweit erst zwei Fahrzeuggenehmigungen für Level-3-Serienfahrzeuge, die man kaufen kann, und diese Genehmigungen hat das KBA erteilt. Bei der Aktivierung dieser Systeme ist der Hersteller in der Verantwortung, wenn es zu einem Unfall kommt, auch in den USA. Das ist schon ein wesentlicher Schritt!
Aber der Sprung zum komplett selbstfahrenden Auto ist noch weit, oder?
Ich hatte die Möglichkeit, weltweit Fahrzeuge auszuprobieren, die das schon können. Und ja, es ist beeindruckend, was technologisch möglich und schon auf den Straßen unterwegs ist. Vor wenigen Wochen konnte ich in London ein Robotaxi eines britischen Anbieters testen, das ohne hochauflösende Karten klarkommt, sondern sich auf Kameras, Sensoren, GPS und den Einsatz von KI verlässt. Das hat sogar zu Stoßzeiten im wahrlich anspruchsvollen Verkehr der britischen Hauptstadt geklappt. Da muss man einfach den Hut ziehen.
Und zuschauen, wie ausländische Firmen den deutschen davonziehen, wie schon bei der E-Mobilität?
Bis Ende des Jahrzehnts werden wir auch selbstfahrende Autos auf deutschen Straßen sehen, da bin ich sicher. Die Frage ist nur: Lässt sich damit Geld verdienen? Bei all den Versuchen von San Francisco bis Peking werden Fahrten mit Robotaxis oft zu Discountpreisen angeboten, sonst wären sie teurer als Taxis mit Menschen am Steuer. Ohne Investor im Rücken wären all die Projekte morgen tot.
Werden Robotaxis nicht viel preiswerter fahren können als bemannte Taxis?
Wo es akuten Personalmangel gibt, mag das sein. Aber für Deutschland sehe ich nur ein begrenztes Robotaxi-Potenzial. In Städten mit vernünftigem ÖPNV werden Taxis – mit oder ohne Fahrer – immer viel teurer bleiben als Bus und Bahn. Jenseits der Städte werden sich Robotaxi-Flotten niemals lohnen. Und dass die Leute in den Städten keine eigenen Autos mehr kaufen, weil sie jederzeit einen selbstfahrenden Wagen ordern können, erwarte ich nicht, zumindest nicht in den kommenden zehn Jahren. Das echte Potenzial sehe ich, wie gesagt, für autonome Shuttle-Busse und für den Lkw-Fernverkehr.
Robert Habeck sieht im autonomen Fahren eine „riesige Zukunftschance“ für die kriselnden Autobauer. Er irrt also?
Es wurde schon viel diskutiert, ob Hersteller zu Mobilitätsanbietern werden. Festzuhalten ist, dass sie ihre Sharing-Angebote zurückfahren und sich auf das Kerngeschäft konzentrieren: Autos verkaufen. Und ich sehe keine Abkehr von dem Modell. Entscheidend scheint mir, dass sie innovativer werden, auch mit immer besseren Assistenzsystemen. Für einige BMW-Modelle haben wir einen automatischen Spurwechsel per Blick in den Spiegel genehmigt. Das kann nicht jeder. Davon braucht es mehr! Aber generell sind Entwicklungszyklen viel zu lang, das hat Wettbewerbsfähigkeit gekostet, und da muss dringend wieder mehr Tempo rein. Außerdem haben aktuell Investitionen in E-Mobilität in der Industrie Vorrang vor der Entwicklung von selbstfahrenden Autos.
„Cybercab“
Tesla zeigt erstmals einer breiteren Öffentlichkeit in Europa seine Vision eines Fahrzeugs, das als Robotaxi fahrerlos Menschen befördern soll. Der Prototyp des „Cybercabs“ ist bis zum 8. Dezember in Show-Räumen in Berlin, Paris und London zu sehen sein. Tesla-Chef Elon Musk hatte im Oktober das seit langem angekündigte Robotaxi in einem Hollywood-Studio in Los Angeles vorgestellt. Das „Cybercab“ hat zwei Flügeltüren und sieht aus wie ein Coupé auf Basis des Tesla-Bestsellers Model 3. Der Zweisitzer kommt ohne Lenkrad sowie Gas- und Bremspedal aus. Das Konzept sieht vor, dass die Fahrgäste dem „Cybercab“ über eine App mitteilen, wohin sie gefahren werden wollen. (dpa)
Zur Person
Richard Damm ist seit 2020 Präsident des Kraftfahrtbundesamts mit Sitz in Flensburg. Zuvor arbeitete der diplomierte Maschinenbau-Ingenieur im Bundesverkehrsministerium und forschte bei der Bundesanstalt für Straßenwesen zur passiven Sicherheit und Biomechanik von Fahrzeugen. Damm ist Experte für die weltweite Harmonisierung von Vorschriften zur Genehmigung von Kraftfahrzeugen. Zu seinen Schwerpunkten zählen Fragen der Automatisierung, Vernetzung und Digitalisierung. (EB)