Bei den Kommunen steht unter dem Strich ein Überschuss, doch das reicht laut Experten nicht. Zu groß bleiben die regionalen Unterschiede.
Rundschau-Debatte des TagesBrauchen die Kommunen finanzielle Hilfe?
Die weit offene Schere zwischen verschuldeten und finanzstarken Kommunen hat sich einer aktuellen Studie zufolge verfestigt. Trotz einiger unter dem Strich positiver Entwicklungen in den Haushalten von Städten und Gemeinden, sei in den meisten Kommunen das finanzielle Fundament weiter zu schwach, um die ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen der Gegenwart zu meistern, so das Fazit des am Mittwoch vorgelegten kommunalen Finanzreports der Bertelsmann Stiftung. „Während die süddeutschen Kommunen infolge der hohen Wirtschafts- und Steuerkraft stabil sind, fällt die Einschätzung für andere wie das Saarland, NRW oder Sachsen-Anhalt düsterer aus.“
Für die Aufgaben fehlt der Spielraum
Alle zwei Jahre untersuchen Finanzexperten im Auftrag der Bertelsmann Stiftung auf Grundlage der aktuellen Finanzstatistiken die Entwicklung der kommunalen Haushalte. Für die Aufgaben, wie etwa die Klima-, Wärme-, oder Verkehrswende oder den sozialen Ausgleich fehle in vielen Städten und Gemeinden der finanzielle Spielraum, warnen die Fachleute. Steigende Ausgaben aufgrund von Inflation und neuer Ausgaben für die Nachhaltigkeitswende sowie sinkende Einnahmen durch die schwächelnde Wirtschaft trübten das Bild aktuell und für die kommenden Jahr ein, schilderte René Geißler, Mitautor und Professor für öffentliche Wirtschaft und Verwaltung an der Technischen Hochschule Wildau. Problematisch seien weiterhin die verfestigten regionalen Unterschiede: „Das Aufholen der wirtschaftsschwächeren Regionen ist sehr schwierig“, erklärte Geißler.
Erwartungen übertroffen
Unter dem Strich haben Städte und Gemeinden in Deutschland 2022 zwar einen Überschuss von 2,4 Milliarden Euro erwirtschaftet. Das ist einerseits weniger als im Vorjahr, habe aber angesichts der hohen Belastungen durch den russischen Angriffskrieg und die Inflation, die Erwartungen übertroffen. Andererseits treten auch hier die regionalen Unterschiede zu Tage: Sieben Flächenländer erwirtschafteten einen Überschuss, in sechs Ländern überstiegen die Ausgaben die Einnahmen.
Finanzkraft stagniert
Das Steueraufkommen als wichtigste Einnahmequelle der Kommunen lag 2022 mit 121 Milliarden Euro sogar 60 Prozent höher als noch vor zehn Jahren. Der Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr entspreche allerdings mit 7 Prozent nur der Inflation, so dass die Finanzkraft der Kommunen tatsächlich stagniere, so die Studienautoren. Wenig überraschend seien auch hier die großen regionalen Unterschiede zwischen wirtschaftsstarken Regionen in Hessen, Bayern oder Baden-Württemberg einerseits und den strukturschwachen ostdeutschen Ländern andererseits. Von den zehn stärksten Kommunen liegen fünf in Bayern, von den zehn schwächsten neun in Ostdeutschland.
Verzerrtes Bild bei den Investitionen
Ein ähnlich auseinanderklaffendes Bild zeigt sich bei den Investitionen: Diese sind zwar auf ein Rekordhoch von über 41 Milliarden Euro geklettert – ein Zuwachs von 50 Prozent seit 2017. Doch auch hier verzerrten finanzstarke süddeutsche Kommunen das Bild. So konnte ein Kämmerer in Bayern statistisch gesehen zweieinhalb mal soviel Geld in die kommunale Infrastruktur investieren, wie sein Kollege im Saarland. Auch in Nordrhein-Westfalen und in Sachsen liegen die Investitionen deutlich unter dem bundesdeutschen Durchschnitt.
Außerdem machten die hohen Inflationsraten insbesondere im Baugewerbe den tatsächlichen Abbau des Investitionsstaus wieder zunichte: Viele Kommunen beklagen einen Rückstand bei notwendigen Ausgaben in so wichtige Infrastruktur wie Straßen, Schulen oder Verwaltungsgebäude. Bundesweit wird der Investitionsrückstand mit 166 Milliarden Euro beziffert.
Uneinheitliches Bild in NRW
Nordrhein-Westfalens Kommunen haben im vergangenen Jahr im Schnitt mehr Geld ausgegeben als sie eingenommen haben. Nach sechs zuvor positiven Jahren stehe für das Jahr 2022 unterm Strich ein Minus von 246 Millionen Euro, wie aus dem am Mittwoch vorgelegten kommunalen Finanzreport der Bertelsmann Stiftung hervorgeht. Auch viele Städte zwischen Rhein und Weser sind demnach schlecht für die anstehenden Aufgaben gerüstet: Zwar seien die Steuereinnahmen in NRW auf fast 30 Milliarden Euro gestiegen, womit die Kommunen im bundesweiten Pro-Kopf-Vergleich sogar über dem Durchschnitt liegen. Die Ausgaben wuchsen jedoch noch stärker.
Große Unterschiede prägen die kommunalen Haushalte in NRW von großen regionalen Unterschieden geprägt: So gehören Düsseldorf, Köln, Münster und der Kreis Mettmann zu den 20 steuerstärksten Kommunen Deutschlands. Die wenigsten Steuereinnahmen erzielen Herne und Gelsenkirchen.
Hohe Kassenkredite belasten gerade einige Industriestädte des Ruhrgebiets weiter. Diese Art sich zu verschulden, quasi per Dispo-Kredit, gilt als zentraler Krisenindikator. Seit 2015 schmelzen die Kassenkredite zwar langsam ab und sind auch in NRW auf 19 Milliarden Euro gesunken. Doch weiter konzentriere sich die Kassenkreditverschuldung zu großen Teilen auf Städte des Ruhrgebiets sowie solche im Bergischen Land. 2021 gehörten etwa Hagen, Remscheid, Mülheim und Oberhausen unter die bundesweit zehn Städte mit der höchsten Kassenkredit-Verschuldung pro Kopf. (dpa)