Die Bundesregierung hat sich auf einen Umbau der Stromversorgung in Deutschland geeinigt. Wichtige Fragen sind noch offen. Ein Überblick
Rundschau-Debatte des TagesBaut die Ampel nun das Stromsystem der Zukunft?
Nach langen Verhandlungen haben sich Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) auf eine Kraftwerksstrategie für Deutschland geeinigt. Neue Gaskraftwerke, die später mit Wasserstoff betrieben werden, sollen künftig zur Absicherung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne als „Backups“ bereitstehen – zu möglichst niedrigen Kosten für die Kunden. Bis spätestens Sommer soll es eine politische Einigung über das Design des Strommarkts geben. Wichtige Fragen sind noch offen.
Ziele der Energiewende
Die Energiebranche wartet seit langem auf eine Strategie für neue Gaskraftwerke, deren Bau mehrere Jahre dauert. Mehrere Konzerne stehen in den Startlöchern. Die neuen Kraftwerke sollen klimaschädliche Kohlekraftwerke ersetzen und einspringen, wenn kein Wind weht und keine Sonne scheint, um die Stromnachfrage zu decken. Die Energieunternehmen scheuen aber Investitionen, weil sich die neuen Kraftwerke nicht ohne Weiteres rechnen.
Bis 2030 will die Bundesregierung erneuerbare Anlagen vor allem aus Wind und Sonne massiv ausbauen. Das spielt eine zentrale Rolle, um Klimaziele zu erreichen. Das Ziel lautet: 80 Prozent des Stroms sollen 2030 aus erneuerbaren Energiequellen stammen. Derzeit ist es etwas mehr als die Hälfte. Das Stromsystem soll bis ins Jahr 2035 weitgehend klimaneutral sein. Eine zunehmende Elektrifizierung spielt in vielen Bereichen eine wichtige Rolle, zum Beispiel im Verkehr. Bis zum Jahr 2045 soll Deutschland Treibhausgasneutralität erreichen. Dann soll ein Gleichgewicht herrschen zwischen Treibhausgas-Emissionen und deren Abbau.
Kernpunkte der Einigung
Die Koalition hatte lange über eine Kraftwerksstrategie verhandelt. Die FDP pochte vor allem auf niedrige Kosten. Laut Einigung schafft die Strategie nun den Rahmen für Investitionen in „moderne, hochflexible und klimafreundliche“ Kraftwerke. Kurzfristig sollen demnach neue Kapazitäten für wasserstofffähige Gaskraftwerke im Umfang von 10 Gigawatt ausgeschrieben werden. 2032 soll festgelegt werden, wann zwischen 2035 und 2040 diese Kraftwerke vollständig auf Wasserstoff umgestellt werden sollen. Bis 2032 soll auch ein Wasserstoff-Kernnetz fertig sein – quasi ein Autobahnnetz zum Transport von Wasserstoff, der zum größten Teil importiert werden muss. Die Gaskraftwerke sollen an „systemdienlichen“ Standorten stehen. Das bedeutet, die Anlagen könnten dort gebaut werden, wo sie am besten für die Versorgungssicherheit wirken. Außerdem sollen zum Beispiel auch Langzeitspeicher oder Kernfusion gefördert werden. Der FDP war „Technologieoffenheit“ wichtig.
Zum Kompromiss der Regierung zählt auch, dass eine CO2-Abscheidung und -speicherung für Gaskraftwerke im Rahmen einer neuen Strategie aufgegriffen werden soll. Das aber ist umstritten. Ein Bündnis von Umweltverbänden kritisierte, die Bundesregierung öffne die „Büchse der Pandora“. Die Schaffung von gesicherter Leistung im Rahmen der Kraftwerksstrategie müsse konsequent auf „grünen“ Wasserstoff ausgerichtet werden – dieser wird auf Basis erneuerbarer Energien hergestellt. Die angekündigte Aufnahme von „Erdgas-CCS“ in die Strategie sei ein Frontalangriff auf die Energiewende und ein fossiler Irrweg. Die Technik Carbon Capture and Storage (CCS) beschreibt die Abscheidung von CO2 etwa bei Industrieprozessen, um das CO2 dann in tiefen Gesteinsschichten zu verpressen.
Ziel: Früheren Kohleausstieg absichern
Habeck nannte die Kraftwerksstrategie, die nun noch mit der EU-Kommission beraten werden muss, einen wichtigen Baustein auf dem Weg zum klimaneutralen Stromsystem. „Wir setzen die Rahmenbedingungen für den Um- und Zubau klimaneutraler Kraftwerke, während fossile Kraftwerke zunehmend aus dem Markt gehen. Damit machen wir unser Stromsystem fit für die Zeit der Erneuerbaren und sichern den vorgezogenen Kohleausstieg ab.“ Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft, sagte, der Zubau neuer Gaskraftwerke sei Grundlage für den Kohleausstieg.
Die Ampel-Koalition hat sich außerdem sich darauf verständigt, den Kohleausstieg „idealerweise“ auf 2030 vorzuziehen, um den Ausstoß klimaschädlichen Kohlendioxids zu verhindern. Bislang ist ein um acht Jahre vorgezogener Ausstieg aber nur im Rheinischen Revier beschlossen. In den Revieren in Ostdeutschland ist er umstritten.
Wie die Förderung aussehen soll
Bei den wasserstofffähigen Gaskraftwerken sollen Investitions- sowie Betriebskosten gefördert werden. Wasserstoff ist derzeit noch viel teurer als Erdgas. Nicht nur Wasserstoff aus erneuerbaren Energien soll gefördert werden, sondern auch Wasserstoff aus Erdgas. Aus Regierungskreisen hieß es, man rechne mit Kosten von rund 15 bis 20 Milliarden bis Anfang der 40er Jahre. Das sei über den Klima- und Transformationsfonds (KTF) „absolut darstellbar“. Der KTF ist ein Sondertopf des Bundes, aus dem Projekte für die Transformation finanziert werden wie der Heizungstausch. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind die Mittel im Fonds knapper geworden.
Die ursprünglichen Pläne Habecks wären teurer gewesen. Die Regierung will nun auf eine Förderung neuer, reiner Wasserstoffkraftwerke im Wesentlichen verzichten. Kraftwerke, die ausschließlich mit Wasserstoff laufen, sollen nur bis zu 500 Megawatt im Rahmen der Energieforschung gefördert werden. Nach dpa-Informationen sind die Kosten niedriger auch durch den Einsatz nicht nur von Wasserstoff aus erneuerbaren Energien, sondern auch aus Erdgas. FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler sagte, es sei sichergestellt, dass zügig neue Gaskraftwerke finanziert werden könnten, ohne dass die Kosten dafür durch die Decke schössen. In einem Papier des Finanzministeriums war von einer „kosteneffizienten“ Einigung für Steuerzahler wie Stromkunden die Rede.
Neuer Mechanismus soll kommen
Der Bau der neuen wasserstofffähigen Gaskraftwerke soll eine Übergangslösung sein. Denn von spätestens 2028 an soll ein Kapazitätsmechanismus gelten, der „technologieneutral“ sein soll. Ein solcher Kapazitätsmarkt ist ein Kurswechsel. Brüssel muss diesem zustimmen. Konkret geht um einen Mechanismus, mit dem Kraftwerksbetreiber dafür vergütet werden, dass ihre Kraftwerke jederzeit einsatzbereit sind und bei Bedarf einspringen können – sodass sie damit auch in den Zeiten Geld verdienen, in denen sie keinen Strom produzieren.
Wie aber genau dieser Kapazitätsmechanismus aussehen soll und wie das System finanziert werden soll, ist offen. Bis spätestens Sommer 2024 will die Bundesregierung die Einzelheiten dieses Mechanismus festgelegt haben. In einem Papier des Finanzministeriums heißt es, aus Kraftwerken mit verschiedenen Technologien, unterschiedlichen Arten von Speichern sowie etwa gezielten Verbrauchsreduktionen solle der effizienteste Weg gewählt werden.
VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing sagte, der Erfolg der Pläne werde maßgeblich von der konkreten Umsetzung anhängen. „Den Eckpunkten muss nun zügig eine praxistaugliche Strategie folgen.“ BDEW-Hauptgeschäftsführerin Andreae sagte, es müsse dringend Klarheit für die Investoren geschaffen werden. (dpa)