Ausstellung in der City CWenn die Kunst einen verlorenen Ort erobert
Leverkusen – Der Titel dieser Ausstellung ist mit Bedacht gewählt im Sinne von: Er passt und ist extrem provokant. „Lost Places“ könnte nirgendwo anders stattfinden als in der City C als jenem Teil Leverkusens, der seit Jahren eben genau das ist: ein verlorener Ort. Ein dem Vergessen anheim gefallener Ort mitten im Herzen einer Stadt. Fallengelassen. Brachliegend. Eine offene Wunde der Architektur. Und das sichtbare Armutszeugnis für die Politik vor Ort, die es nicht schafft, diese offene Wunde zu schließen.
Jetzt ist es die Kunst, die einen Ausweg sucht – und findet. Wie so häufig, denn: Sie folgt ja keinen Konventionen, ist nicht bestechlich, da sie nichts und niemandem verpflichtet ist und allen gehört. Und jetzt soll sie möglichst alle in die City C locken, auf dass dieser „lost place“ wiederentdeckt wird. Ein gleichsam ambitioniertes wie maximal faszinierendes Projekt.
Meile der optischen Reize
15 Künstlerinnen und Künstler – allesamt zwar in irgendeiner Weise der Stadt oder der Region verbunden, aber dennoch international bedeutsam – sind dieser Tage und bis zur Eröffnung am kommenden Freitag, 27. August, um 17 Uhr damit beschäftigt, die City C zwischen Rialto-Boulevard und Sparkasse mit ihren Arbeiten zu bespielen. Genau: nicht bestücken. Sondern tatsächlich bespielen. Ein Rundgang durch die Passage mit ihren stillgelegten, leergeräumten Geschäften, Schaufenstern, Ladenzeilen ist plötzlich nämlich mehr das Wandeln entlang einer Meile der optischen Reize denn schnöder Rundgang durch ein Museum, dessen Wände mit starren Bildern behängt sind.
Der Künstler Lars Breuer etwa hat die 20 Meter lange und fünf Meter hohe Glasfassade gegenüber des Kreditinstitutes mit schwarzer Farbe bemalt und ein überdimensional großes Bildwerk aus Diagonalen und Spitzen erschaffen, das ebenso versteckter Schriftzug wie abstraktes Formengemälde ist. Er habe sich dafür an der Struktur der umliegenden Architektur orientiert, sagt er. An der Rasterform der Stahlträger. Kurzum: „Die Passage hat mich inspiriert.“ Breuer schöpfte Ästhetik aus der Optik eines Ortes, der verlassen daliegt und vielleicht gerade deshalb auch unheimlich wuchtig wirkt. Nichts kann hier den Blick ablenken von der harten Kälte und Aufgeräumtheit der Gebäude.
Biofuturistische Skulpturen
Aljoscha dagegen ist ein Künstler der Skulpturen und Installationen. Er hängt 33 transluzente, in leichtem Neonrosa lackierte, so genannte biofuturistische Skulpturen unter die Decke der Passage und schenkt einem Ort Farbe, greifbare Traumbilder und phantastische Paradies-Verweise, der schon lange als beispielloses Anti-Paradies gilt, aus dem das Leben verschwunden ist.
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Ebenerdig begegnen einem Gudrun Kemsas große Fotografien von New Yorker Straßenzügen in den bislang leeren, nun mit kosmopolitischem Leben gefüllten Schaufenstern. Sie entstammen ihrer Bildserie „New York New York“, mit der Kemsa seit geraumer Zeit international in Museen und Galerien zu Gast ist.
Nun halten einige ausgewählte Exemplare einer stets verzweifelt nach Großstadt-Flair darbenden Stadt inmitten ihrer mitunter viel größeren und potenteren Nachbarkommunen den Spiegel der Großmannssucht vor. Nicht fies oder ätzend. Sondern ironisch, charmant und aufgrund der hohen Kunst hinter diesen Bildern auch durchaus liebevoll. Oder wie es Kemsa selbst grundehrlich und ohne jeden Spott ausdrückt: „Ich war sofort begeistert von diesem Ort. Einfach toll.“
Urbane Gewaltigkeit
Der Kölner Boris Becker überzeugt mit seinen Fotografien unter dem Titel „Zwei Fenster, zwei Welten“, die er gleich gegenüber in den Schaufenstern platziert. Sie zeigen die Gewaltigkeit urbaner und vom Menschen in die Natur geschlagener Bauwerke anhand von Brückengebilden, irrwitzigen Hochhausbauten und in den Fels des Gebirges gedrückten Staumauern. Es sind Bilder zwischen Tristesse und der unglaublichen Kraft und Potenz der Großstadt – in diesem Falle Seouls und Roms.
Einen spielerischen Ansatz verfolgt Charlotte Triebus, die am anderen Ende der City C – hin zur Fußgängerzone – Passantinnen und Passanten mit einer multimedialen, digitalen Performance begrüßt: Per QR-Code und einer kostenlos beziehbaren App kann man sich in eine Passage begeben, in der blaue animierte Avatare um einen herumtanzen und herumwirbeln – auch das, wie bei so vielen der ab Freitag gezeigten Kunstwerke, ein Verweis auf das Leben, das einst in diesem Teil der Stadtmitte florierte und das sich so viele Menschen in Leverkusen wieder zurück wünschen.
Ein erhörter Wunsch
Und die Kunst der „Lost Places“ erhört diesen Wunsch, nachdem Ämter und Institutionen, Firmen und Parteien bislang ohne Wirkung blieben. Ein Segen für Leverkusen. Einer, der nicht klein, sondern mindestens mittelgroß ist.