In der kommenden Woche erscheinen die Memoiren von Angela Merkel. Bereits jetzt gibt es Kritik – die Altkanzlerin kontert.
Altkanzlerin kritisiert SöderMerkel kontert Kritiker – und lässt viel Spielraum bei Urteil über Merz
Am Donnerstag sind die ersten Auszüge aus den in der kommenden Woche erscheinenden Memoiren von Altkanzlerin Angela Merkel öffentlich geworden. Darin schildert die CDU-Politikerin ihre Sicht auf mächtige Männer der Weltpolitik, darunter Donald Trump, Wladimir Putin und Gerhard Schröder. Merkel versucht auch, ihre Russland-Politik zu erklären.
Während es dafür am Donnerstag Kritik aus der Ukraine und von Experten gegeben hat, äußerte sich Merkel in einem großen Interview mit dem „Spiegel“ nun noch einmal zu ihrer Sicht der Dinge. „Aus meiner Sicht war es zwingend zu versuchen, die Konflikte mit Russland friedlich zu bewältigen“, erklärte Merkel noch einmal. Sie werde zum Sündenbock für Russlands Krieg gegen die Ukraine gemacht, monierte die CDU-Politikerin. „Das ist nicht nur ein Gefühl, das ist so.“
Kritik aus der Ukraine und von Experten an Merkels Russland-Kurs
An den ersten Passagen aus ihrem Buch war schnell Kritik laut geworden. Der ehemalige ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, bezeichnete die Auszüge als „Katastrophe“, auch Politikwissenschaftler und Historiker reagierten irritiert. Merkel hatte dort erklärt, sie sei sich der Gefahr durch Russland bereits früh bewusst gewesen. Schnell wurde die Frage laut, warum sie als Kanzlerin dennoch die deutsche Wirtschaft von russischen Rohstoffen abhängig gemacht habe.
Merkel verteidigte nun ihr Festhalten an Gaslieferungen durch die Realisierung der Pipeline Nord Stream 2. „Ich stehe zu meinen Entscheidungen. Ich habe es als eine meiner Aufgaben gesehen, für die deutsche Wirtschaft billiges Gas zu bekommen“, so die Altkanzlerin.
Angela Merkel: „Ich stehe zu meinen Entscheidungen“
Die Pipeline sei politisch sinnvoll gewesen. „Wie konnte man in der neuen Ordnung nach dem Kalten Krieg mit einem wie Putin, den manche Historiker als Revisionisten bezeichnen, Verbindungen halten?“, so Merkel. „Durch den Versuch, ihn am Wohlstand teilhaben zu lassen“, fügte sie an.
Die Altkanzlerin sprach im Gespräch mit dem Spiegel aber nicht nur über Russlands Krieg und ihre Politik im Umgang mit Putin, sondern äußerte sich auch zur aktuellen politischen Lage und zur anstehenden Bundestagswahl in Deutschland. Insbesondere ihre Aussagen über Kanzlerkandidat Friedrich Merz lassen dabei aufhorchen, lassen sie doch gehörigen Interpretationsspielraum.
Merkel über Merz: „Irgendwelche Eigenschaften“
Auf die Frage, ob Merz „Kanzler kann“, antwortet Merkel: „Er muss jetzt einen Wahlkampf führen, in dem er das beweisen kann.“ Ob sie ihm das Amt zutrauen würde, wollte das Hamburger Nachrichtenmagazin daraufhin von der Altkanzlerin wissen – und bekam erneut eine Antwort, die nicht gerade wie die große Unterstützung daherkommt. „Wer so weit gekommen ist, muss über irgendwelche Eigenschaften verfügen, die ihn dazu befähigen. Ja, man wird nicht ohne Grund Kanzlerkandidat“, erklärte Merkel.
An CSU-Chef Markus Söder übte die Altkanzlerin unterdessen schließlich sogar offene Kritik. „Ich finde es nicht in Ordnung, dass Markus Söder und andere in CSU und CDU derart abfällig über die Grünen sprechen“, sagte Merkel. Natürlich hätten die Grünen andere Positionen als die Union. „Ich bin ja mit Bedacht nicht dort Mitglied, sondern in der CDU“, so Merkel. „Aber eine Bündnisfähigkeit muss erhalten bleiben“, sagte die Altkanzlerin mit Blick auf die fast täglichen Anfeindungen aus den Reihen der Union in Richtung der Grünen.
Angela Merkel kritisiert Grünen-Bashing von Markus Söder
Merkel hingegen verweist auf die „funktionierenden“ schwarz-grünen Koalitionen in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg. „Das sind ja nicht die erfolglosesten Bundesländer“, erklärte die Kanzlerin, die sich auch zum Scheitern der Ampel-Koalition äußerte. „Männer“ sei ihr erster Gedanke angesichts der gegenseitigen Vorwürfe von FDP-Chef Christian Lindner und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gewesen, erklärte Merkel. Es sei in der Politik nicht ratsam, Dinge zu persönlich zu nehmen, merkte Merkel an.
Die Altkanzlerin äußerte sich im Gespräch mit dem „Spiegel“ auch erneut ausführlich zu ihren Erfahrungen mit dem bald ins Weiße Haus zurückkehrenden Donald Trump. Auch auf ihre Migrationspolitik blickt Merkel in dem Interview zurück.
Merkel verteidigt „Wir schaffen das“-Haltung
Über ihre Entscheidung, im Jahr 2015 Flüchtlinge aus Ungarn nach Deutschland kommen zu lassen, sagte Merkel: „Ich hatte damals das Gefühl, ich hätte sonst die gesamte Glaubwürdigkeit der Sonntagsreden über unsere tollen Werte in Europa und die Menschenwürde preisgegeben.“ Die Vorstellung, „Wasserwerfer an der deutschen Grenze aufzustellen“, sei für sie „furchtbar“ gewesen. Eine Lösung wäre ein solcher Schritt „sowieso“ nicht gewesen, so die Altkanzlerin.
Die Autobiografie „Freiheit. Erinnerungen 1954–2021“ erscheint am 26. November im Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch. An dem Tag präsentiert Merkel die Memoiren auch schon im Deutschen Theater in Berlin. Sie hat das 700 Seiten starke Werk zusammen mit ihrer langjährigen Büroleiterin Beate Baumann verfasst. Nach Verlagsangaben erscheint es in über 30 Ländern.
Merkel wird ihre Memoiren auch in Köln vorstellen. Am 16. Dezember werde die ehemalige Bundeskanzlerin ihr Buch „Freiheit“ bei einer Sonderveranstaltung der Lit.Cologne vorstellen, teilte das Literaturfestival mit. Moderiert wird die Begegnung von der ehemaligen Moderatorin des „Kölner Treff“, Bettina Böttinger.