Stadtwerke-Chef Liebing warnt vor einer Fokussierung auf Wärmepumpen – 40 Prozent Fernwärme hält er indessen für machbar.
Interview mit Stadtwerke-Chef„Bis zu 40 Prozent Fernwärme wären machbar“
Erst jede siebte Wohnung wird heute mit Fernwärme beheizt. Möglich wären bei richtigen Weichenstellungen „40 Prozent oder mehr“, sagt Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU), in dem die Stadtwerke zusammengeschlossen sind, im Interview mit Tobias Schmidt.
Herr Liebing, warme Stuben und heiß duschen dank Fernwärme statt Wärmepumpe oder Gas: Für wen wird das möglich werden?
Schon jetzt wird jede siebte Wohnung mit Fernwärme beheizt, rund sechs Millionen Haushalte. Wir können uns in den kommenden 20 Jahren eine Verdoppelung bis Verdreifachung der Fernwärme-Anschlüsse gut vorstellen. Werden die richtigen Weichen gestellt, dürften bis Mitte der 40er-Jahre 40 Prozent oder mehr der Wohngebäude an Wärmenetze angeschlossen sein, statt mit eigenen Wärmepumpen oder Gas beziehungsweise Wasserstoff heizen zu müssen. Gerade für Fernwärme, bei der erhitztes Wasser in Häuser geleitet wird, können ganz unterschiedliche klimaschonende Energieträger genutzt werden, von Großwärmepumpen, Solarthermie und Geothermie über Abwärme aus Industriebetrieben oder Rechenzentren sowie thermischer Abfallbehandlung.
Wovon hängt es ab, wie stark die Fernwärme ausgebaut wird?
Von klugen Gesetzen, kluger Kommunikation und von der kommunalen Wärmeplanung vor Ort. Mit der einseitigen Fokussierung auf Wärmepumpen muss Schluss sein, denn das untergräbt die Fernwärme. Mit den kommunalen Wärmeplänen soll Klarheit geschaffen werden, wo künftig Fernwärme ausgebaut werden soll. Völlig überzogene Vorwürfe, mit diesen Plänen werde eine „Heizungs-Stasi“ eingerichtet, sind gefährlich, weil sie das notwendige und absolut sinnvolle Instrument diskreditieren. Das kann sich unser Land nicht erlauben. Deswegen: Wir Versorger brauchen Klarheit, wo wir ausbauen sollen. Und die Bürger brauchen Klarheit, ob sie mit einem Anschluss an ein Wärmenetz rechnen können oder nicht. Denn sonst bauen sie sich auf die Schnelle noch eine neue Gastherme oder für Zehntausende Euro eine Wärmepumpe ein, die sie am Ende überhaupt nicht brauchen. Das wäre Wahnsinn! Und Millionen Haushalte stehen vor solchen Entscheidungen.
Die geplanten Gesetze sind nicht klug?
Tempo beim Umstieg auf treibhausgasneutrale Energien ist wichtig, daran arbeiten die Fernwärmeversorger mit Hochdruck und bauen zugleich ihre Netze aus, ganz im Sinne der Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW). Doch die jetzt geplante starre Vorgabe, bis 2030 einen Anteil von 50 Prozent erneuerbarer Energie zu erreichen, würde viele dieser Pläne durchkreuzen. Es wird übersehen, dass großtechnische Projekte zur erneuerbaren Wärmeerzeugung bis zu zehn Jahre in Anspruch nehmen können, das fängt oft schon mit der schwierigen Standortsuche an. Eine übereilte Umstellung verzehrt Personal und Geld, das für den Ausbau fehlt. Deswegen appellieren wir an die Ampel-Fraktionen, von den starren Quoten Abstand zu nehmen und stattdessen die Transformationspläne, die die Wärmenetzbetreiber nach den Regeln der BEW erstellen, als Grundlage zu nehmen. Die Transformationspläne zeigen den Weg auf, wie ein Wärmenetz unter Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten bis spätestens 2045 Treibhausgasneutralität erreicht.
Was könnte den Wärmenetz-Ausbau noch bremsen?
Wir müssen auch über Verbindlichkeit sprechen. Dort, wo die kommunale Planung Wärmenetze vorsieht, darf der Staat nicht gleichzeitig den Einbau von Wärmepumpen fördern. Noch ist im Gesetz vorgesehen, unterschiedliche Technologien im selben Gebiet zu fördern. Damit wird die Planung ihrer Lenkungswirkung beraubt. Damit Wärmenetze volkswirtschaftlich sinnvoll sind, müssen viele Kunden angeschlossen sein. Das dient auch den Kunden, weil sie von günstigeren Preisen profitieren, je mehr Nutzer am Netz angeschlossen sind. Um die erneuerbare Wärme kümmert sich der Fernwärmeversorger. Und die Kunden sind ihre Heizsorgen los. Netze haben einen gewaltigen Vorteil: Bei Umstellung auf erneuerbare Energiequellen profitieren alle angeschlossenen Gebäude auf einen Streich. Daher ist es auch nicht abwegig, über eine Pflicht für Haushalte zu reden, sich an ein vorhandenes Wärmenetz anzuschließen.
Bis wann erfahre ich, ob eine Fernwärmeleitung zu meinem Haus gelegt wird oder nicht?
Laut Gesetzentwurf soll in Städten ab 100000 Einwohnern die Wärmeplanung möglichst bis Ende 2025, auf jeden Fall aber bis Ende 2027 stehen, in kleineren Städten bis Ende 2027, spätestens Ende 2028. Das wird dort, wo keine Vorarbeit geleistet wurde, sehr sportlich, sollte dennoch machbar sein, wenn die Anforderungen an die Wärmeplanung nicht zu hoch geschraubt wird.. Es ist also eine Frage weniger Jahre, bis Klarheit herrscht. Ich rate daher allen Haushalten, die eine Umstellung ihrer Heizung erwägen: Bitte Füße stillhalten und mit der Entscheidung warten! Wer es eilig hat, kann auch den kommunalen Versorger fragen, ob Fernwärme eine Option werden könnte oder nicht. In vielen Fällen wird es dann eine Orientierung geben.
Kann Fernwärme auch für Menschen auf dem Land zur Option werden?
Es gibt auch Dörfer mit Nahwärmenetzen. Je nach lokalem Potenzial. Es kommen vielerorts Biomasse, Biogas, Geothermie oder Pellet-Blockheizkraftwerke in Frage. Je näher die Häuser beieinander stehen, desto weniger Leitungen müssen gelegt werden, und umso sinnvoller ist es. Im Groben gilt: Fernwärme ist eher etwas für Städte.
Womit heizen Kunden billiger, mit Fernwärme, Gas oder Wärmepumpe?
Pauschal ist das nicht zu beantworten, es hängt von örtlichen Bedingungen ab, und bei Fernwärme auch davon, wie viele Nutzer sich an die Infrastruktur anschließen, denn die Kosten werden umgelegt. Wichtig ist, in die Zukunft zu schauen. Die Kosten für fossile Brennstoffe werden durch die CO2-Bepreisung deutlich steigen. Für CO2-neutrale Fernwärme gilt das nicht.
Dann ist es nicht gerade klug, sich jetzt noch eine neue Gastherme einzubauen?
Das kommt ganz drauf an. Geräte, die mit Biomethan oder Wasserstoff betrieben werden können, sollten unbedingt eine realistische Option bleiben, dort wo keine Wärmenetze hinkommen. Der aktuelle Gesetzentwurf schließt das de facto aus, weil er Gasversorger zwingt, schon in wenigen Jahren die Lieferung von Wasserstoff zu garantieren, was so schnell nicht machbar ist. Das muss korrigiert werden.
Braucht es denn neben Wärmenetzen und Wärmepumpen noch Gas- beziehungsweise Wasserstoffheizungen?
Ja, das kann sehr sinnvoll sein. So gibt es 1,8 Millionen Unternehmen des gewerblichen Mittelstandes, die an Gasverteilnetzen hängen und zumindest zu einem wesentlichen Teil künftig für ihre Produktion Wasserstoff benötigen. Liegen am Weg zwischen diesen Standorten und Kernnetzen Wohnhäuser, sollten diese angeschlossen werden oder bleiben. Das ist nicht zuletzt deswegen ratsam, um die Infrastrukturkosten zu verteilen. Die Furcht, zu viele Hausbesitzer würden auf Gas und Wasserstoff setzen, ist aber unangebracht. Viele Städte und Kommunen planen auch bei der dezentralen Wärme schon komplett ohne Wasserstoff. Nach unseren Erwartungen wird in der Zukunft in Deutschland zu 40 bis 45 Prozent mit Fernwärme geheizt, zu 40 Prozent mit Wärmepumpen, und allenfalls 15, höchstens 20 Prozent mit Wasserstoff. Gegenwärtig wird 50 Prozent der Wärme mit Erdgas erzeugt.
Derzeit werden aber auch die Wärmenetze noch zu 70 Prozent mit fossiler Energie betrieben. Bis wann ist die Umstellung auf Erneuerbare zu schaffen?
Wir sind uns sicher, dass alle existierenden Fernwärmenetze bis 2045 - vielerorts schon deutlich früher - klimaneutral werden können. Das hängt von den Energiequellen ab. Selbst dort, wo Kohleheizkraftwerke genutzt werden, ist das machbar, denn die Möglichkeiten sind vielfältig: Großwärmepumpen, Solarthermie, Biomasse, Geothermie, Abwärme sowie Kraft-Wärmekopplungsanlagen, die perspektivisch mit Wasserstoff betrieben werden. Der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft kommt ja erst in den 30er Jahren. Aber es wird ausreichend Wasserstoff bei uns produziert oder importiert werden können. Daran haben wir überhaupt keine Zweifel.
Welchen Sinn machen Sanierungsvorgaben aus Brüssel, wenn auch nicht so gut gedämmte Häuser dank Fernwärme klimaschonend beheizt werden können?
Es ist definitiv sinnvoller, statt einzelner Häuser ein gesamtes Quartier zu betrachten. Können hunderte oder tausende Gebäude an ein CO2-neutrales Wärmenetz angeschlossen werden, wäre im Kampf gegen die Erderwärmung viel mehr gewonnen, als wenn jedes einzelne Gebäude gedämmt werden müsste. Für Massensanierungen würden unendlich viel Geld und Fachkräfte benötigt, die dann für andere Aufgaben fehlen. Die derzeitigen Pläne sind aus unserer Sicht unerfüllbar. Wir hoffen, dass in Brüssel deutlich mehr Realismus einkehrt.