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LautLOSSechs Tänzerinen zeigten im Siegburger Stadtmuseum beeindruckende Choreographien

Lesezeit 4 Minuten
Eine Tänzerin animierte das Publikum zum Mitmachen.

Im Stadtmuseum zeigten sechs Tänzerinnen aus Ungarn, Mexiko, Singapur, Indonesien und Deutschland Tanztheater-Miniaturen zu den Themen Identität, Herkunft, Erbe und Erinnerung an mehreren Orten im Gebäude. Ildikó Mándy tanzte mit den Zuschauerinnen und Zuschauern.

Die multimediale Tanzinstallation bearbeitete in sechs Solo-Tanztheater-Miniaturen Themen wie Erinnerung, Identität, Herkunft und Erbe.

Am Anfang stand ein kleiner Spaziergang, vom Foyer des Stadtmuseums zur Stadtbibliothek in Siegburg. Ganz leicht begann die multimediale Tanzinstallation„ lautLOS“. Die ungarische Choreographin Ildikó Mándy schwebte mit Drehungen und einfachen Schrittkombinationen durch das Publikum. Sie animierte die Zuschauerinnen und Zuschauer ihren Bewegungen zu folgen, einem leichten Csárdás.

Es war die erste Station des ungewöhnlichen Projektes, bei dem sechs Tänzerinnen in Miniaturen ihre Gefühle, Erfahrungen und Erlebnisse mit Erinnerung, Identität, Herkunft und Erbe in Bewegung umsetzen. Es gab keine feste Bühne, sondern stets neue Orte. Die Zuschauerinnen und Zuschauer suchten sich immer wieder neu ihren Platz, um ihre eigene Sichtweise und Perspektive im Raum zu finden.

Drei erfahrene Choreographinnen luden drei junge Tänzerinnen ein

Der Ansatz ist international. Ilona Pászthy, Mitbegründerin der Kölner Kompanie IPtanz hat gemeinsam mit Kavita Krishnan aus Singapur und Ildikó Mandy aus Ungarn die Dekonstruktion der Erinnerung entwickelt, jede hat eine weitere Choreographin eingeladen, ihre Vorstellung einzubringen. Ein Bühnenobjekt des bildenden Künstlers miegL, ebenfalls IPtanz, verbindet und passt sich den Raumsituationen an.

Der Gang zurück ins Stadtmuseum endete zunächst am Balkon mit dem Blick in die Tiefe. Auf dem weißen, aufgestellten Bogen, der sich flexibel bewegen lässt, wurde ein Teil der Familiengeschichte Silvia Ehnis Pérez Duartes projiziert. Ihre Vorfahren wanderten nach Mexiko aus, kehrten einige Jahre in die Weimarer Republik zurück, um dann in die selbst gewählte deutsche Diaspora zu gehen. Sie selbst studierte zeitgenössischen Tanz an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln und Politikwissenschaften in Mexiko-Stadt.

Eine Tänzerin macht einen Ausfallschritt.

Silvia Ehnis Perez Duarte tanzte und sprach im Forum zugleich über ihre Familiengeschichte.

Sie erzählte und tanzte zugleich, mal in kleinen, minimalistischen Bewegungen, mal mit raumgreifenden Schritten und Sprüngen. Dabei offenbarte sie die Vielschichtigkeit ihres kulturellen Erbes aus verschiedenen Ländern, mit überraschenden Korrelationen zum Täter- und Mitläufer-Kontext Ilona Pászthys aus den Zeiten des NS-Regimes. Silvia Ehnis' Credo ist ermutigend: „Eine andere Welt ist nicht nur möglich, sie ist auf dem Weg.“

Tanz verleiht den persönlichen Geschichten im Stadtmuseum Siegburg Ausdruck

Wieder war der Bogen Projektionsfläche, für die Erinnerungen Kavitha Krishnans aus Singarpur, der Mitgründerin und künstlerischen Leiterin des Maya Dance Theatre. Sie reflektierte über das Leben ihrer Mutter, die so gerne Tänzerin werden wollte, aber den Lehrerinnenberuf erlernen musste. Sie hieß Indra, was so viel wie Kriegerin bedeutet. Ihrer Tochter Kavita ebnete sie den Weg, machen zu können, was sie will: zu tanzen.

Eine Tänzerin bewegt sich, gekleidet in einenSari.

Kavitha Krishnan aus Singapur verarbeitete den Tod ihrer Mutter Indra, was Kriegerin bedeutet.

Krishnan nahm Saris, bunte Tücher, als Requisiten, um den Tod ihrer Mutter zu verarbeiten. Positive Energie verbreitete sie trotz des schweren Themas mit Hilfe der Ausdrucksmöglichkeiten des klassischen und zeitgenössischen indischen Tanzes, kraftvoll und emotional, trotz aller Strenge der Bewegungen. „Sie kämpfte wie eine Kriegerin und ihr Name war Indra“, setzte sie ihrer Mutter ein Denkmal.

Gigi Gianti aus Indonesien tanzte mit den Kopien der Papiere ihres Vaters, der als Polizist durch den Verrat eines Freundes unschuldig verhaftet und verurteilt wurde. Er starb im Gefängnis. Dieses Erlebnis hat sie nachhaltig geprägt. In wütenden Gesten stopfte sie Dokumente in ihre Bluse, durchmaß den Raum in langsam gesetzten Schritten: „Mein Vater ist nicht schuldig.“

Eine Tänzerin tanzt mit Papieren.

Gigi Gianti aus Indonesien arbeitete mit Kopien der Dokumente ihres Vaters.

Zu Maschinengeräuschen und von einem Ventilator mit Luft angeweht brachte Jusztina Bákonyi mit leichten Bewegungen Schwere in das Forum, in dem die Gäste nun saßen. Die ausgebildete Balletttänzerin überzeugte mit ihrer Körperlichkeit, verarbeitete die Trauer ihrer Lebensgeschichte. Die Mutter starb früh, der Vater erzog sie allein, ihre über alles geliebte Tante verlor erst vor kurzem ihr Leben.

Eine Tänzerin bewegt sich und wirft Schatten im Scheinwerferlicht.

Jusztina Bákonyi aus Ungarn verdichtete im Tanz schmerzliche Erinnerungen.

Nach einem Gang durchs Treppenhaus in die Aula setzte sie die Trauerbewältigung fort, mit einer Kette, die sie zerriss. Die kleinen Perlen symbolisierten ihre Erinnerungen, sie sind fest, kostbar, doch rollen sie in alle Richtungen, verlieren ihre Bedeutung aber nie. Mit Mándy zusammen füllet sie den Raum mit einer Choreografie, die das Publikum in einer Mischung aus Faszination und Irritation beließ.

Eine Tänzerin breitet Papiere auf dem Boden aus.

Ilona Pászthy aus Ungarn, die in Köln arbeitet, forscht in den ungeklärten Räumen ihrer Familiengeschichte.

Den Abschluss machte Ilona Paszthy, die künstlerische Leiterin, Sie forscht seit Jahren in den „ungeklärten Räumen ihrer Familiengeschichte“. Sie sprach von der Stille, die laut ist, ihrem Atem, den Haaren auf ihrem Kragen. „Die Augenlider, wenn sie sich schließen, sind lautlos“, erklärte sie. In ihrem genreübergreifenden Solo berichtete sie von der Geschichte ihrer Vorfahren, die in der Erkenntnis gipfelt, dass ihr Großvater als Ungar wohl Mitglied der Waffen-SS gewesen ist. Keine leichte Kost also, spannend, kurzweilig, neu, ungewohnt.