AboAbonnieren

„Ich hatte den Überblick verloren“Henneferin gerät mit Online-Käufen in die Inkasso-Falle

Lesezeit 4 Minuten
Eine Hand mit langen künstlichen Fingernägeln hält ein Smartphone. Sie hat eine Seite für Online-Shopping geöffnet.

Wer im Internet bestellt und die Option „in 30 Tagen bezahlen“ wählt, der hat einen Kredit aufgenommen. „Mit allen negativen Folgen“, sagt SKM-Vorstand Markus Kühn. (Symbolbild)

Am Ende wurde sie mit einer Gesamtschuld von 13.000 Euro konfrontiert, Inkassobüros schickten Forderungen.

Es ist nur ein kleines Häkchen auf dem Bestellformular. Die Folgen aber können gravierend sein: Wer seine Online-Bestellung über einen der großen Finanzdienstleister bezahlt und die Option „in 30 Tagen bezahlen“ markiert, der hat einen Kredit aufgenommen. Und sei es ein Darlehen über fünf Euro.

Junge Henneferin hatte „den Überblick verloren“

Darauf machten vor einer bundesweiten Aktionswoche der Schuldnerberatungen Markus Kühn, Vorstand des SKM – Katholischer Vereins für Soziale Dienste, und Schuldnerberaterin Sonja Jarosch aufmerksam. Die Zahl der Klienten, die mit teilweise hohen Schulden und Inkassogebühren konfrontiert die Beratungsstelle aufsuchten, sei in den vergangenen drei oder vier Jahren „extremst angestiegen“, sagt die Fachfrau. Und häufig sind es jüngere Ratsuchende mit vielen derartigen Kleinstkrediten.

Auch die junge Frau aus Hennef, die uns beim Gespräch in den Räumen des SKM gegenübersitzt, hat den Weg zur Schuldnerberatung gefunden. „Ich hatte den Überblick verloren“, erzählt sie. Immer wieder sei sie trotz innerhalb der Frist geleisteter Zahlungen von Inkassobüros angeschrieben worden, immer weiter stiegen die fälligen Zinsen und geforderte Gebühren.

Ich glaube, dass viele sich gar nicht bewusst sind, was sie da machen
Markus Kühn, SKM-Vorstand

Vieles habe sie gar nicht selbst bestellt, beteuert die Klientin. Es werde aber von einzelnen Zahlungsdienstleistern viel zu einfach gemacht, Kundenkonten zu kapern. In ihrem Fall sei das böswillig geschehen, klagt sie. Am Ende wurde sie mit einer Gesamtschuld von 13.000 Euro konfrontiert, vier oder fünf Inkassobüros schickten Forderungen. Inzwischen hat sie Privatinsolvenz angemeldet.

„Ich glaube, dass viele sich gar nicht bewusst sind, was sie da machen“, sagte am Freitag Markus Kühn über das Bezahlen im Internet: dass man nämlich „einen Kredit mit allen negativen Folgen abschließt“. Das bedeutet Schufa-Eintrag und eine sinkende Bonität, wenn es – warum auch immer – Probleme bei der Rückzahlung gibt.

Eine Frau und ein Mann sitzen an einem Besprechungstisch in einem Büro.

Sonja Jarosch und Markus Kühn vom SKM Rhein-Sieg machten auf das Thema aufmerksam. Am Montag beginnt die Aktionswoche 'Buy Now - Inkasso later'.

Schnell würden die Kunden in die Schuldenfalle gelockt, sagte Sonja Jarosch: „Nur noch heute“ gelte das Angebot, versprächen die Shoppingseiten. Leeres Konto, kein Problem: Bezahlen könne man ja später. „Buy Now – Inkasso später“ (Kaufe jetzt, das Inkassobüro kommt später) heißt denn auch das Motto der Aktionswoche vom 10. bis 14. Juni.

Berater des SKM Rhein-Sieg sprechen oft über ganz geringe Beträge

„Die überprüfen gar nicht, ob man wirklich Geld hat“, erzählt auch die 24-jährige Betroffene. Und bis zur Sperrung eines Kundenkontos würden neue Bestellungen recht lange zugelassen, weiß Sonja Jarosch. Absurder Höhepunkt sind die „Challenges“ auf Tiktok, wo meist junge Nutzer darum wetteifern, wer den höchsten Schuldenstand vorweisen kann.

Das Wort Kleinkredite bedeute in diesem Fall, dass es auch um kleine Anschaffungen ohne wirklichen Gegenwert gehe, erklären Kühn und Jarosch unisono. Konsumentenkredite habe man früher über hohe Summen abgeschlossen, in die Beratung kamen Ratsuchende, bei denen die Hausfinanzierung kippte, weiß Kühn, der lange als Schuldnerberater tätig war. „Heute reden wir über Summen von acht Euro“.

Im Geschäft wollen sie einen Ausweis sehen. Online wird nix geprüft
Klientin der Beratungsstelle

Auch die „Null-Prozent-Finanzierung“ für Konsumgüter wie Fernseher spiele noch eine Rolle in der Beratungstätigkeit, berichtete Sonja Jarosch. Aber, so ergänzt Markus Kühn, sie verlagere sich ins Internet. „Im Geschäft wollen sie einen Ausweis sehen“, weiß auch die junge Klientin. „Online wird nix geprüft.“

Markus Kühn sieht einen Zusammenhang zwischen der gesellschaftlichen Situation in der Pandemie und dem Aufkommen des Problems in der Schuldnerberatung: Statt im Geschäft wurde zuhause eingekauft, beim Onlineshopping falle die Zeit der Entscheidungsfindung weg. Diese Geschwindigkeit sieht Kühn zudem im Warenangebot gespiegelt, das zum Beispiel Schuhe für 3,95 Euro bereithalte.

Nicht jede Beratungsstelle arbeitet unentgeltlich

Am Anfang einer Beratung stehe immer eine Haushaltsanalyse, schildert Sonja Jarosch die Vorgehensweise: Die Schulden werden erfasst, den Einnahmen werden die Ausgaben gegenüber gestellt und laufende Kosten wie Verträge geprüft. Je nach Ergebnis dieser Prüfung könne dann ein Ratenplan für die Rückzahlung der Schulden aufgestellt oder ein Privatinsolvenzverfahren eingeleitet werden.

Auch die Hilfe beim Umgang mit Schulden könne teuer werden, sagte am Freitag Markus Kühn: Es gebe gewerbliche „Schuldenregulierer“, die für bisweilen hohe monatliche Gebühren keine Leistung erbrächten. Auch die Henneferin zahlte viel Geld an ein solches Unternehmen. Inzwischen wird sie beim SKM beraten – unentgeltlich, wie das auch die anderen gemeinnützigen Schuldnerberatungen tun.