SPD und NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) halten der Kreisverwaltung vor, sie schöpfe ihre Möglichkeiten zur Verkehrsberuhigung nicht aus.
SPD sieht sich bestätigtMinister kritisiert Zurückhaltung bei Tempo-30-Zonen in Rhein-Erft
Nun kennt auch NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer die Sankt-Rochus-Straße in Bedburg. Genauer gesagt in Kaster. Die SPD-Kreistagsfraktion hatte sich an den Grünen-Politiker gewandt, weil die Kreisverwaltung in Bergheim ihrer Ansicht nach ihre Spielräume nicht nutzt, um die Geschwindigkeit auf einer Vielzahl von Straßen zu reduzieren.
Mitunter sei sogar das Gegenteil der Fall, argumentiert Dierk Timm in dem Schreiben. So habe die Kreisverwaltung im vorigen Jahr kurzerhand das Ortsschild auf der Sankt-Rochus-Straße um 600 Meter weiter Richtung Ortskern versetzt – mit der Folge, dass auf der gesamten Strecke nun Tempo 70 statt Tempo 50 als Höchstgeschwindigkeit gilt. Vorangegangen waren Bemühungen von Anwohnern, den Verkehr in dem Abschnitt zu bremsen. „Das ist geradezu grotesk“, findet der SPD-Fraktionsvorsitzende im Kreistag. Kaster sei nur eines von vielen Beispielen im Rhein-Erft-Kreis.
Timm und seine SPD sehen sich durch das Minister-Schreiben in ihrer Kritik an der Kreisverwaltung und deren restriktiver Auslegung der Straßenverkehrsordnung bestätigt. Krischer sieht ebenfalls eine grundsätzliche „zu starke Fokussierung auf den fließenden Kfz-Verkehr und eine Vernachlässigung der Belange des Fuß- und Radverkehrs“. Ursache sei, dass die Vorschriften für Verkehrsbeschränkungen – dazu zählen Tempolimits – im Ermessen der örtlichen Straßenverkehrsbehörde zu streng ausgelegt würden. Doch nach Beobachtungen des NRW-Verkehrsministers kann ein Tempolimit auch dann verfügt werden, wenn es sich um keinen ausgewiesenen Unfallbrennpunkt handelt. Ein weiteres Kriterium sei häufig Lärm.
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Krischer vertritt jedoch die Auffassung, dass auch der Rhein-Erft-Kreis Geschwindigkeitsbeschränkungen verfügen kann, wenn sich „aus der Streckenführung, dem Ausbauzustand oder der Verkehrsbelastung der Straße eine konkrete Gefahr ergibt, in deren Folge Unfälle zu erwarten sind“. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts dürften sich die Straßenverkehrsbehörden diesbezüglich auch auf der rechtlich sicheren Seite befinden.
Das Verkehrsministerium habe die Verantwortlichen in den Behörden in den Städten und Kreises mehrere Male darum gebeten, „vor Ort alle Spielräume der Straßenverkehrsordnung für eine bessere Lebensqualität und einen besseren Schutz des Fuß- und Radverkehrs anordnen zu können“, schreibt Krischer. Der Grünen-Politiker setzt darüber hinaus auf weitreichendere Änderungen im Straßenverkehrsrecht und andere Maßnahmen, die den Kommunen mehr Spielraum ermöglichen, unter anderem bei der Einführung von Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen. Dierk Timm wartet sehnsüchtig auf diese Änderungen, scheiterten doch fast alle Bemühungen am Kreis als zuständige Behörde: „Der Minister hat klargestellt, dass eine einseitige Auslegung, wie sie der Kreis praktiziert, den Anweisungen des Landes, aber auch der Rechtsprechung widerspricht. Es muss endlich möglich sein, die Interessen und die Sicherheit von Menschen zu Fuß und auf dem Rad angemessen zu berücksichtigen.“
Kreisverwaltung sagt, die Kritik ziele ins Leere, zuständig seien die Kommunen
Die Kreisverwaltung will die Kritik von SPD und Krischer so nicht stehenlassen. Die Straßenverkehrsbehörde des Rhein-Erft-Kreises müsse lediglich gewährleisten, dass die gesetzlichen Vorgaben und „die Einheitlichkeit der durch die Kommunen angeordneten straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen in ihrem Zuständigkeitsbereich“ eingehalten werden. Die Kommunen als örtlich zuständige Straßenverkehrsbehörden würden über die Installation sämtlicher Verkehrszeichen und Verkehrszeicheneinrichtungen auf allen Straßen –mit Ausnahme der Autobahnen – in ihrem Stadtgebiet eigenständig entscheiden, teilte eine Sprecherin der Kreisverwaltung mit.
Ihre Behörde begrüße zwar die Reform des Straßenverkehrsgesetzes vor dem Hintergrund der Diskussion um die Einrichtung von Geschwindigkeitsbegrenzungen (insbesondere Tempo 30). Es bedürfe hierbei jedoch einer weiteren Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffes „hochfrequentiert", damit hier eine einheitliche Handhabung gewährleistet ist. Daher kämen zurzeit innerörtliche Geschwindigkeitsbegrenzungen von 30 km/h auf Bundes-, Landes- und Kreisstraßen und auf Vorfahrtstraßen nur im unmittelbaren Bereich von an diesen Straßen gelegenen Kindergärten, Kindertagesstätten, allgemeinbildenden Schulen, Förderschulen, Alten- und Pflegeheimen sowie Krankenhäusern in Betracht.
Mehr Flexibilität für Kommunen bei Busspuren und Radwegen sowie Anwohnerparkplätzen – aber kein Freibrief für neue Tempo-30-Zonen: Das sieht eine Reform des Straßenverkehrsgesetzes vor, welcher der Bundestag am Freitag zugestimmt hat. Nun muss noch der Bundesrat über die Reform befinden.
Die örtlichen Behörden dürfen künftig verkehrsregelnde Maßnahmen zum Schutz von Klima, Gesundheit und städtebaulicher Entwicklung erlassen. So soll es ihnen erleichtert werden, neue Tempo-30-Zonen einzuführen. Zum Beispiel rund um Spielplätzen, entlang viel befahrener Schulwegen oder an Fußgängerüberwegen. Außerdem soll es künftig möglich sein, zwei Tempo-30-Strecken miteinander zu verbinden, wenn nicht mehr als 500 Meter zwischen ihnen liegen. Ziel: So soll der Verkehrsfluss verbessert werden.
Diese Tempo-30-Zonen müssen allerdings verhältnismäßig sein. Auch in Zukunft darf es bei einer entsprechenden Anordnung nicht zu Beeinträchtigungen von Sicherheit und Flüssigkeit des Verkehrs kommen. Und: Ein flächendeckendes Tempo 30 in Städten soll es nicht geben. Nach dem Bundestag muss nun noch der Bundesrat dem Gesetzentwurf zustimmen. Ziel ist es, dass die Änderung des Straßenverkehrsgesetzes in diesem Jahr verabschiedet wird. (dpa)