- Angesichts des Krieges in der Ukraine ist die Ausstattung der Bundeswehr wieder verstärkt Thema in der Bundesregierung.
- Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) prescht nun vor und stellt für die Streitkräfte ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro zur Verfügung.
- Reichen die neuen Mittel aus?
Berlin – Selbst langjährige politische Beobachter bekommen dieser Tage Schnappatmung angesichts der Geschwindigkeit, mit der Bundeskanzler Olaf Scholz eine Kehrtwende nach der anderen vollzieht. Wie nebenbei erklärte der Regierungschef in seiner Rede vor dem Bundestag zur Überraschung der meisten Mitglieder seiner Koalition, dass mit der Mangelwirtschaft in der Bundeswehr Schluss sein soll. Ein Sondervermögen von sage und schreibe 100 Milliarden Euro soll dafür in den nächsten Jahren bereitgestellt werden. Nicht alle in der Ampel-Koalition sind begeistert.
Woher soll das Geld kommen?
Für das Sondervermögen muss Bundesfinanzminister Christian Lindner zusätzlich zu den rund 100 Milliarden Euro neuen Schulden für den Haushalt 2022 weitere 100 Milliarden Euro an Krediten aufnehmen. Ab 2023 sollen keine neuen Schulden mehr gemacht werden – und dabei soll es bleiben. Mit der Einrichtung eines Sondervermögens bedient sich Lindner eines Tricks, schafft sozusagen einen zweckgebundenen Nebenhaushalt. Das ist kein Ruhmesblatt für einen Finanzminister, der Rückkehr zu Solidität bei den Finanzen versprochen hat, aber es geht jetzt darum, die „leistungsfähigste Armee in Europa“ – Zitat Lindner – zu schaffen. Die FDP fordert seit Langem mehr Geld für die Bundeswehr. Und Lindner wollte offenkundig nicht den Zauderer mimen, wenn Geschichte geschrieben wird.
Wie ist die Entscheidung gefällt worden?
Wie aus Regierungskreisen zu hören ist, wurde die Entscheidung vom ehemaligen Finanzminister Olaf Scholz im kleinsten Kreis getroffen. Der Kanzler hat demnach den FDP-Finanzminister damit beauftragt, Vorschläge zu bringen, wie die 100 Milliarden Euro für die Armee lockergemacht werden können. Dass bei Grünen und SPD nur wenige eingeweiht waren, konnte man auch daran erkennen, dass kaum jemand klatschte, als Scholz das Vorhaben vor den Abgeordneten verkündete.
Wie wirkt sich die Summe auf die Bundeswehr aus?
Auf die nächsten vier Jahre gesehen, ist die Summe von 100 Milliarden für die Bundeswehr nicht übermäßig viel, sondern genau die Summe, mit der die Militärausgaben Deutschlands das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erreichen würde, also zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für das Militär ausgibt.
„Ampel“-Nachwuchs in NRW ringt um die Aufrüstung
Die Pläne der Bundesregierung spalten die NRW-Nachwuchs-Organisationen der „Ampel“-Parteien. Den Jungsozialisten (Jusos) und der Grünen Jugend gehen sie zu weit, den Jungen Liberalen (Julis) nicht weit genug. Nur beim Thema Wehrpflicht sind sie sich einig. Natürlich habe die Bundeswehr Anspruch auf eine angemessene Ausrüstung“, sagte Konstantin Achinger, Vorsitzender der Jusos in NRW, unserer Redaktion. „Wir lehnen aber das angekündigte Sondervermögen ab.“ Zuerst müsse das „fragwürdige Beschaffungswesen der Bundeswehr“ korrigiert werden. Ähnlich hatte sich jüngst auch die Juso-Bundesvorsitzende Jessica Rosenthal geäußert. Das Sondervermögen sei auch abzulehnen, weil es laut Achinger „allein der Umgehung der Schuldenbremse dient“.
Völlig anders beurteilt Alexander Steffen, Landesvorsitzender der Jungen Liberalen NRW, die Lage: „Das Sondervermögen über 100 Milliarden Euro halten wir für richtig, weil jetzt schnell die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr hergestellt werden muss.“ Deutschland müsse in der Lage sein, seinen Nato-Verpflichtungen nachzukommen, betont Steffen.
Die Wiedereinführung der Wehrpflicht lehnen die Nachwuchsorganisationen allerdings parteiübergreifend ab.
50 Milliarden sind für die nächsten Jahre im Haushaltplan für Militärausgaben regulär veranschlagt, 70 Milliarden wären für dieses Ziel aber in etwa nötig. Verteilt man die 100 Milliarden Euro auf die nächsten vier Jahre, kommt man jährlich auf etwa 70 Milliarden. Das Zwei-Prozent-Ziel – von Grünen und SPD bekämpft und für falsch gehalten, von anderen Nato-Staaten immer wieder angemahnt – wird damit Wirklichkeit für Deutschland.
Ist jetzt kein Geld mehr für andere Vorhaben da?
Doch, denn das Geld ist ein Sondervermögen, das nun nicht woanders fehlt, sondern zusätzlich und nur für diesen einen Zweck der Ausstattung der Bundeswehr bewilligt wird. Um das rechtlich abzusichern, muss allerdings das Grundgesetz geändert werden. Für die dafür notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag braucht Scholz auch Stimmen aus der Unionsfraktion, die sich offen zeigt. Trotzdem wird der Haushalt 2022 jetzt erst eine Woche später als ursprünglich geplant festgezurrt, am 16. März statt am 9. März. Wegen der aktuellen Beschlüsse zur Ukraine blieb bisher nicht ausreichend Zeit, um mit den Ressort-Chefs der einzelnen Ministerien über ihre Ausgabenwünsche zu verhandeln. Das Ziel der Konsolidierung des Haushalts nach der Pandemie – zu deutsch: wieder nur so viel ausgeben, wie reinkommt – will Lindner aber auch nicht aus den Augen verlieren. Das heißt, es soll Ausgabenkürzungen geben, an welcher Stelle ist bislang aber unklar.