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Bärbel Bas im InterviewFrau Präsidentin, reicht der Doppelwumms?

Lesezeit 8 Minuten

Bärbel Bas (SPD) findet: Wir haben für die Ukraine alles getan, was uns möglich war.

Ludwig Erhard versprach Wohlstand für alle. Hält diese Zusage noch angesichts von Krieg und Energiekrise? Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) im Rundschau-Interview.

Frau Präsidentin, Russlands Krieg gegen die Ukraine hat das ablaufende Jahr geprägt. Hat Deutschland genug getan, um dem angegriffenen Land zu helfen?

Ich bin überzeugt: Wir haben alles getan, was möglich war – humanitär, finanziell und mit Waffenlieferungen. Deutschland hat eine sehr große Unterstützung aufgeboten, und dafür ist die Ukraine dankbar. Das hat mir Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk mehrfach persönlich gesagt.

Der Kanzler war nicht zu zögerlich?

Nein. Natürlich wünscht sich die Ukraine mehr, auch besondere Waffengattungen. Unsere Linie ist klar: Es gibt, beispielsweise bei Kampfpanzern, keine deutschen Alleingänge. Wir handeln im Einklang mit unseren internationalen Partnern. Das wird in Kiew akzeptiert.

Mitverantwortung für Zustand der Bundeswehr

Die Unterstützung mit Waffen ist begrenzt, weil die Bundeswehr selbst ziemlich blank ist. Sehen Sie eine Mitverantwortung des Bundestages für den desolaten Zustand der Parlamentsarmee?

Das Parlament hat in der Tat eine Verantwortung, die Soldatinnen und Soldaten für ihre Einsätze angemessen auszustatten. Ich würde nicht von einem desolaten Zustand sprechen, aber die vielen Mängel bekomme ich in Gesprächen mit der Truppe immer wieder geschildert. Der Bundestag hat die erforderlichen finanziellen Mittel nun bereitgestellt: 100 Milliarden Euro für die Ertüchtigung der Bundeswehr. Jetzt muss es gelingen, die Missstände zu beheben – von der Bewaffnung bis zur Schutzausrüstung.

Wie groß ist der internationale Schaden?

Sofern der Eindruck entstanden sein sollte, dass wir unseren internationalen Bündnisverpflichtungen nicht angemessen nachkommen könnten, ist das nicht zutreffend. Wir werden auch weiterhin beweisen, dass wir verlässliche Partner sind.

Ein Ende des Krieges ist nicht abzusehen. Reichen die diplomatischen Bemühungen aus, das Töten zu beenden?

Wir arbeiten auf allen Ebenen daran. Bundeskanzler Olaf Scholz steht in engem Kontakt mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi und telefoniert auch mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Auch auf der Ebene der Parlamente und der Abgeordneten gibt es einen regen Austausch: Der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk war in diesem Jahr zwei Mal mein Gast im Deutschen Bundestag. Ich habe am 8. Mai die Ukraine besucht und an der von ihm und unserem kroatischen Kollegen organisierten Krim-Plattform teilgenommen. Dieser grausame Krieg muss so schnell wie möglich ein Ende finden. Putin lässt die zivile Infrastruktur zerschießen, die Menschen harren ohne Heizung und ohne Wasser aus. Lebensmittel werden knapp. Putin führt einen Krieg auch gegen die ukrainische Zivilbevölkerung. Das ist unverzeihlich.

Der heiße Herbst hat nicht stattgefunden

Wie lange hält die Solidarität der deutschen Bevölkerung?

Es ist nicht einfach, diese so wichtige Solidarität zu erhalten. Auch hier nehmen die Probleme zu, vieles wird teurer. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Krise hierzulande durch den russischen Angriffskrieg verursacht wird. Putin nutzt sein Gas als Waffe gegen uns. Es rächt sich, dass wir uns bei den Energielieferungen so von einem Land abhängig gemacht haben. Umso wichtiger ist es, dass wir die Solidarität mit der Ukraine unbedingt aufrechterhalten.

Dazu sollen auch die Entlastungspakete beitragen. Reicht der Doppelwumms?

Die Regierung hat es geschafft, mit den Entlastungspaketen und Energiepreisbremsen den Menschen im Moment die größte Unsicherheit zu nehmen. Der von vielen heraufbeschworene heiße Herbst hat nicht stattgefunden. Das ist ein wichtiger Erfolg. Es ist absehbar, dass im neuen Jahr zusätzliche Hilfe beschlossen werden muss, um diejenigen zu unterstützen, für die die Entlastungen nicht ausreichen. Ein rasches Kriegsende ist nicht in Sicht. Die Energie wird vorerst sehr teuer bleiben. Ich sehe also einen zusätzlichen Unterstützungsbedarf für Haushalte mit sehr geringem Einkommen auf das Land zukommen.

Hatte der Bundestag genug Zeit, an den Entlastungen mitzuarbeiten?

Vieles ging definitiv so schnell, dass nicht genug Zeit zur Beratung blieb. Das darf so nicht weitergehen. Den permanenten Krisenmodus halten die Parlamentarier nicht aus. Er beraubt uns auch der Chance, die Maßnahmen mit ihrer enormen Tragweite richtig erklären zu können. Ohne Debatte und ohne das Abwägen der Argumente können die Entscheidungen von den Bürgerinnen und Bürgern nicht nachvollzogen werden. Das aber ist entscheidend, auch um die Solidarität mit der Ukraine zu bewahren und um eine Akzeptanz für die Zeitenwende zu schaffen.

Sozial ausgewogen ist die Hilfe nicht: Der häufig besungene Villenbesitzer bekommt ein Vielfaches dessen, was Familien in einer zugigen Mietwohnung erhalten…

Das stimmt leider. Es ist nicht untypisch, dass zu Beginn von Krisen zunächst häufig mit der Gießkanne gearbeitet wird, weil damit schnell und einfach die Breite der Gesellschaft unterstützt werden kann. Aber mein klarer Appell lautet: Wenn zusätzliche Pakete geschnürt werden müssen, muss die Hilfe gezielt und in ausreichendem Maße bei denen ankommen, die sie wirklich brauchen.

Drückt sich die Regierung in Wahrheit nicht vor sozial gestaffelten Direktzahlungen, weil ganz viele Wähler dann leer ausgingen?

Es ist eine schwierige Debatte, ab welchem Einkommen oder Vermögen jemand nichts mehr bekommen sollte. Aber wir müssen diese Debatte führen, denn es geht um soziale Gerechtigkeit. Finanzminister Christian Lindner sagt zu Recht, er könne kein Geld drucken. Ich hoffe, in seinem Haus wird mit Hochdruck an einem Mechanismus für gestaffelte Direktzahlungen gearbeitet. Den brauchen wir unbedingt.

Brauchen wir nicht auch die Atomkraft unbedingt, um genug billigen und klimaschonenden Strom zu erzeugen, statt Kohle zu verfeuern?

An der Atomkraft festhalten, das hört sich so einfach an. Aber es gibt zahlreiche Probleme, die wir bis heute nicht gelöst haben. Allen voran der Atommüll, den niemand haben möchte. Und machen wir uns nichts vor: Wenn wir jetzt neue Brennstäbe kaufen würden, laufen die alten Kernkraftwerke womöglich noch 20 Jahre. Die Risiken sind hoch, wie die massiven Probleme in Frankreich zeigen. Nein, wir sollten es definitiv bei der letzten Verlängerung bis April 2023 belassen, diese Debatte beenden und den Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigen. Das wurde viel zu lange blockiert, weil wir uns auf Putins billiges Gas und Öl verlassen haben. Ein Festhalten an der Atomkraft würde die notwendige Transformation erneut ausbremsen.

Wirklich es Wohlstand für alle?

Nachhaltige Energie erzeugen, nachhaltig wirtschaften und konsumieren: Der Kanzler sagt, das schaffen wir „ohne Verzicht“. Nehmen Sie ihm das ab?

Meine Überzeugung: Es muss nicht immer auf Verzicht hinauslaufen, aber natürlich müssen wir unser Verhalten ändern und die Ressourcen schonen. Es gibt viele starke Innovationen für umweltschonendes Produzieren und Konsumieren. Mit einem „Weiter so“ schaffen wir die Wende hin zur postfossilen Zeit aber bestimmt nicht.

Dahinter steht die Frage, ob das Versprechen von immer mehr Wohlstand für alle einzuhalten ist. Was glauben Sie?

Das zielt in mein sozialdemokratisches Herz. Es gibt Bevölkerungsgruppen, die leben nicht im Wohlstand. Es gibt gerade viele ältere Menschen oder Familien, die soeben über die Runden kommen. Natürlich sind wir ein starkes und reiches Land. Der Blick nach innen zeigt aber eine große Ungleichheit, Und die Kluft ist gewachsen. Die Frage ist also, wie wir den Wohlstand gerechter verteilen. Also auch, wer etwas abgeben kann und vielleicht muss.

Wie lautet Ihre Antwort?

Gerade wird die Erbschaftssteuer minimal und indirekt angehoben, indem Grundstücke höher bewertet werden. Das war durch ein Gerichtsurteil vorgegeben. Es war abzusehen, wer alles dagegen Sturm läuft. Was mich persönlich ärgert: Sofort wird wieder die Neiddebatte befeuert, weil der Staat etwas von dem nehmen will, was die eigenen Eltern oder Großeltern erwirtschaftet haben. Dabei geht es gar nicht um das kleine Einfamilienhaus oder den mittelständischen Betrieb. Es geht um große Vermögen, die vererbt werden. Die Folge ist: Die Reichen werden reicher. Wer wenig hat, bleibt zurück. Das finde ich nicht gerecht. Deswegen halte ich nichts davon, die Freibeträge anzuheben. Aus meiner Sicht sollten die wirklich Vermögenden etwas mehr abgeben, damit der Staat zum Beispiel ein Bildungssystem bezahlen kann, das allen Kindern echte Chancen auf einen guten Abschluss und einen Aufstieg gibt.

Wenn schon die zaghafte Anhebung der Erbschaftssteuer solchen Ärger macht, was wird dann aus der großen Staatsreform, die Ihr Vorgänger Wolfgang Schäuble einfordert?

Ich teile grundsätzlich Wolfgang Schäubles kluge Analyse. Wir sollten aber im Kleinen beginnen und unsere Kräfte auf eine Reform des Bildungswesens fokussieren. Dort wirkt die die institutionelle Lähmung, die mein Vorgänger beklagt, besonders schädlich. Die Kommunen sind für Gebäude zuständig, die Länder für Personal und Finanzen, und der Bund allenfalls behelfsmäßig wie beim Digitalpakt. Kompetenzgerangel und fehlendes Geld; es klappt vorne und hinten nicht. Von Bildungsgerechtigkeit sind wir leider noch weit entfernt.

Was meinen Sie konkret?

Wie gut ein Kind unterrichtet, gefördert und ermutigt wird, hängt immer noch entscheidend davon ab, wo es zur Schule geht. Finanzschwache Kommunen haben kein Geld für angemessene Gebäude und Ausstattung, geschweige denn für eine besondere Förderung. Dabei bräuchten wir gerade in sozialen Brennpunkten die besten Schulen. In der Folge verlieren wir zu viele Kinder, die keinen Abschluss machen - und das bei wachsendem Fachkräftemangel. Mein dringender Wunsch für das neue Jahr wäre, dass wir die von Wolfgang Schäuble angeregte Kommission für das große Thema Bildung einberufen. Sie könnte die Zuständigkeiten zwischen Kommunen, Ländern und Bund neu ordnen. Wir brauchen eine Reform unseres Bildungssystems, die für echte Chancengleichheit unabhängig von Herkunft, Wohnort oder dem Geldbeutel der Eltern sorgt.