Die Band „Revolverheld“ tritt Sonntag in Köln auf und Sänger Johannes Strate verrät im Gespräch, was sich in der so Gruppe tut.
Interview mit Revolverheld vor Konzert in Köln„Erst einmal die Hörer erschrecken“
Sonntagabend tritt die Band „REvolverheld“ im Carlswerk Viktoria auf. Steffen Rüth sprach mit Frontmann Johannes Strate (43) morgens um halb zehn über das neue Album und die Tournee. Während des Interviews verputzte der Musiker den milchähnlichen Inhalt eines bemerkenswert großen Bechers.
Was trinken Sie denn da gerade?
Das ist Skyr mit Obst und Nüssen, einmal komplett durch den Mixer gejagt. Vor dem Beginn der Tour will ich mich gesund ernähren.
Beim Sport waren Sie heute Morgen bestimmt auch schon, was?
War ich, ja. Ich bin gut darin, mehrere Aufgaben zusammenzupacken. Ich habe also erst unseren Elfjährigen zum Bus gebracht, war dann auf dem Rückweg kurz einkaufen und tatsächlich eine Stunde im Fitnessstudio. Eigentlich sind wir eine Familie von Langschläfern, aber das Schulsystem zwingt uns zum extrem frühen Aufstehen.
Mit dem neuen Album hat sich die Band von allen Zwängen befreit.
Genau so ist es. Es ist keine Floskel, wenn ich sage, „R/H/1“ ist die Platte, die wir immer schon machen wollten. Wir waren ja mal eine Rockband mit richtig harten Songs, damals nannten wir uns noch Tsunamikiller, trugen weite Hosen und längere Haare. Dann bekamen wir unseren Plattenvertrag bei einem großen Label, und plötzlich hieß es, passt auf, Leute, Nickelback haben fürs Radio alle E-Gitarren rausgenommen, das müsst ihr bitte auch machen. Natürlich haben wir uns als junge Spunde darauf eingelassen, was auch die richtige Entscheidung war. Es ist ja nicht allzu schlecht gelaufen für uns in den letzten zwanzig Jahren.
Aber jetzt haben Sie genug von den Zugeständnissen?
Wir haben unsere eigene Plattenfirma Revolverheld Records gegründet und müssen nun keine Kompromisse mehr eingehen. Da war schnell für uns klar, dass wir jetzt endlich diese laute, krachige Platte machen, die bisher nie dazwischen passte.
Ist Revolverheld also in Wirklichkeit eine Rockband, die zwanzig Jahre lang ihre wahre künstlerische Identität verbergen musste?
So krass würde ich es nicht formulieren. Wir haben die Musik, die wir gemacht haben, schon auch geliebt. Wir finden unsere alten Songs gut, und der Erfolg hat uns recht gegeben. Außerdem lieben wir sowieso sehr viele unterschiedliche Musikrichtungen. Ich höre manchmal gerne ruhige Sachen, hatte aber auch schon meine Slipknot-Phase. Andere von uns stehen auf Hip-Hop, und mit „Alles in Bewegung“ haben wir mal ein eher elektronisches Album gemacht, ein bisschen so wie The Killers.
Ist die US-Band um Brandon Flowers ein Vorbild?
Ich finde die Killers super und halte Brandon Flowers für einen tierisch guten Sänger. Ich fand es damals allerdings eher schade, als sie diese Disco-Musik gemacht haben. Erst im Nachhinein habe ich verstanden, dass das einfach in ihnen schlummerte. So wie in uns lange die lauten und krachigen Songs. Wir haben mit Anfang 20 immer nur Papa Roach, Linkin Park und Limp Bizkit gehört.
Wie erinnern Sie sich an die damalige Zeit?
Es war einfach super. Wir hatten alle noch Nebenjobs, ich zum Beispiel habe Pizza ausgefahren. Manchmal fuhren wir in dem alten Golf unseres Schlagzeugers Jakob bis an den Bodensee, um eine Show zu spielen und anschließend zurück nach Hamburg. Als Einheit schweißte uns diese Phase sehr eng zusammen, und wir kamen damit klar, dass wir kaum Geld verdienten und manchmal nur drei Leute kamen.
Ihre Bachelorarbeit hieß „Eigenwahrnehmung von Popmusikern im Gegensatz zur medialen Wahrnehmung“. Passt in der Band beides zusammen oder ist das „R/H/1“-Album eine Möglichkeit, einiges geradezurücken?
Ach, nee, je älter du wirst, desto mehr wird dir die Außenwirkung sowieso egal. Wir machen die Musik hauptsächlich für uns und unser Inneres. Mir ist schon klar, dass sich nun vielleicht ein paar Leute, die uns in erster Linie von Popballaden wie „Ich lass für dich das Licht an“ kennen, fragen, ob wir ein Rad abhaben (lacht). Wir verstehen, wenn nicht alle Fans bei dieser Platte mitziehen, aber wir fühlen diese Musik und wollten sie genau so machen, wie sie jetzt ist.
„Krieg mit mir selbst“ zum Beispiel klingt wie Rage Against The Machine auf Deutsch. Da dürften sich schon einige Hörerinnen und Hörer erschrecken.
Na, hoffentlich (lacht). Und nach dem ersten Schock finden sie es dann vielleicht geil. Das Lied handelt von der inneren Zerrissenheit, die auch ich selbst gut kenne. Wenn du die ganze Zeit haderst und hart mit dir selbst ins Gericht gehst, dann ist das ein ungesunder Zustand, der es dir schwer macht, auch gut zu anderen zu sein. Bei mir ist es so, dass meine Emotionen immer stark ausschlagen, nach oben wie nach unten. Das ist anstrengend, macht das Leben aber auch bunter.
Was tun Sie, wenn Ihnen das Leben über den Kopf wächst?
Dann versuche ich, besonders lieb zu mir selbst zu sein. Lege das Handy weg, reduziere meine Termine, mache Sport, gehe an die Elbe oder mit meinem Sohn Emil ins Fußballstadion, Werder Bremen gucken. An guten Tagen gelingt es mir dagegen, mit meiner Energie und mit meinen Ideen alle mitzureißen.
Wer das Album „R/H/1“ haben will, bekommt es nur bei den Konzerten. Welche Idee genau steckt hinter diesem Konzept? Gewinnmaximierung ja sicher nicht.
Nein. Wir hatten zum einen Bock auf diese radikale Rockplatte, zum anderen hatten wir Lust, den Leuten etwas zu bieten, was besonders ist. Musik hat ein Höchstmaß an Beliebigkeit erreicht. Viele hören irgendwelche Playlists, oft kennen sie weder die Künstler noch den Titel der Songs, es interessiert sie auch nicht. Unser neues Album wird es gar nicht erst im Streaming geben. Es wird deshalb auch nicht in die Charts gehen. Es ist superexklusiv. Du bekommst es am Ende unserer Konzerte im Jutebeutel, auf Vinyl, auf CD und als Barcode zum Runterladen.
Also gibt es „R/H/1“ auch nicht klassisch im Plattenladen?
Nein. Wer eins haben möchte, muss sich an Ticket für eines unserer Konzerte kaufen.
Der Song „So kaputt“ handelt von zwei Menschen, die zusammenleben, sich aber nur noch fertigmachen. Die beieinanderbleiben, ohne zu wissen, warum. Geht es um Sie und Ihre Partnerin, die Schauspielerin Anna Wolfers?
Nein, zum Glück nicht (lacht).
Der Song „Das Ende“ behandelt denn auch gleich mal den Weltuntergang als solchen.
Ich will die Hoffnung nicht aufgeben. Mein Sohn will ja auch noch ein bisschen was von dieser Welt haben. Aber die Lage ist schon sehr angespannt, und auch ich weiß nicht, wie es weitergehen soll.
Das Konzert ist am 7. Januar im Carlswerk Victoria. Am 8. Spielt die Band in Stuttgart, am 9. in München, am 10. in Leipzig und am 11. in Oberhausen.