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Rundschau-Debatte des TagesBraucht das Bundesverfassungsgericht Schutz?

Lesezeit 4 Minuten
Ein Hinweisschild mit Bundesadler und dem Schriftzug „Bundesverfassungsgericht“, aufgenommen vor dem Bundesverfassungsgericht.

Ein Hinweisschild mit Bundesadler und dem Schriftzug „Bundesverfassungsgericht“, aufgenommen vor dem Bundesverfassungsgericht.

In der Ampel-Koalition ist angesichts der wachsenden Umfragewerte die Debatte um eine Grundgesetzänderung entbrannt. Es geht die Sorge um, Antidemokraten könnten das Gericht beeinflussen.

Das Wort Bundesverfassungsgericht steht 27 Mal im Grundgesetz. So etwa in Artikel 115g: „Die verfassungsmäßige Stellung und die Erfüllung der verfassungsmäßigen Aufgaben des Bundesverfassungsgerichtes und seiner Richter dürfen nicht beeinträchtigt werden.“ Nur: Details etwa zur Anzahl der Richter, zur nötigen Zweidrittelmehrheit für ihre Wahl, zum Ausschluss der Wiederwahl und dazu, dass sich das Gericht selbst eine Geschäftsordnung gibt, stehen eben nicht im Grundgesetz – sondern in einem separaten Gesetz: dem Gesetz über das Bundesverfassungsgericht. Und deshalb wird derzeit über Rechtsänderungen diskutiert.

Wie ist die Ausgangslage?

Das Bundesverfassungsgericht ist ein Verfassungsorgan. Es arbeitet unabhängig von den jeweiligen politischen Machtverhältnissen. Seine Aufgaben und Teile seiner Struktur sind im Grundgesetz festgelegt. Darin steht beispielsweise, dass die Richterinnen und Richter je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt werden und dass sie weder diesen beiden Verfassungsorganen noch der Bundesregierung oder Pendants auf Landesebene angehören dürfen. Die Justiz sei das Rückgrat einer demokratischen Gesellschaft, betonte der Deutsche Richterbund. Es gelte deshalb „rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Unabhängigkeit der Gerichte wirksam gegen Angriffe von Extremisten zu schützen“.

Wo liegt das Problem?

Einige Strukturen sind eben nicht im Grundgesetz festgehalten und könnten darum mit einer einfachen Mehrheit im Parlament geändert werden. Dazu gehört, dass sich das Gericht in zwei Senate von je acht Richterinnen und Richtern aufteilt und dass sie höchstens zwölf Jahre im Amt sind. Einige Politiker befürchten nun, dass extreme Parteien in Zukunft versuchen könnten, politisch Einfluss auf das höchste deutsche Gericht zu nehmen. Mit einer Mehrheit im Parlament könnten sie das Bundesverfassungsgerichtsgesetz ändern und so womöglich grundlegende Strukturen abschaffen oder umbauen.

Wenn also jetzt erwogen wird, die bestehenden Regelungen auch ins Grundgesetz zu schreiben, geht es vor allem darum, sie „änderungsfester“ zu machen, wie der Verfassungsrechtler Christoph Gusy es formuliert. „Das Grundgesetz ist bislang sehr sparsam, was das Bundesverfassungsgericht angeht.“

Unter der Überschrift „Mehr Widerstandskraft“ hatten die ehemaligen Verfassungsrichter Gabriele Britz und Michael Eichberger in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vor ein paar Wochen Änderungen gefordert: Dem einfachen Zugriff des Gesetzgebers sollten jene Strukturen des höchsten deutschen Gerichts entzogen werden, die für dessen Funktionsfähigkeit, Unabhängigkeit und zur Verhinderung einseitiger Besetzung wesentlich sind. „Das entspricht seiner Stellung als Verfassungsorgan und stärkt seine Widerstandsfähigkeit gegen unwägbare politische Entwicklungen.“ In den vergangenen Tagen nahm die Debatte Fahrt auf.

Mögliche Szenarien für Änderungen mit weitreichenden Folgen wären etwa, dass Verfassungsrichterinnen und -richter länger oder kürzer im Amt bleiben oder wiedergewählt werden dürften oder dass es für ihre Wahl keine Zweidrittelmehrheit mehr bräuchte. Auch wäre es möglich, so die Befürchtung, einen dritten Senat einzurichten und diesem bestimmte wichtige Entscheidungen zuzuweisen.

Gab es solche Fälle schon?

Regierungen verschiedener Länder versuchten bereits, ihr jeweiliges Verfassungsgericht zu entmachten, zu schwächen oder zu beeinflussen. Dazu gehört etwa Polen, wo die frühere Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) die Justiz nach ihren Vorstellungen umbaute. So änderte sie etwa die Besetzung des Landesjustizrats, der neue Richterinnen und Richter nominiert, so dass er politisch kontrolliert wurde. Infolge der Reformen geriet das Verfassungsgericht in die Hand von PiS-Getreuen. Die neue polnische Regierung will die Rechtsstaatlichkeit wiederherstellen, stößt dabei aber auf Widerstand von Präsident Andrzej Duda, welcher der PiS nahe steht.

Auch in Ungarn setzte die regierende Fidesz-Partei wichtige Änderungen beim Verfassungsgericht durch. So wurde etwa die Zahl der Richterinnen und Richter erhöht, mehrere Fidesz nahestehende Richter wurden ernannt.

Welche Vorschläge gibt es?

Politiker der Ampelparteien schlagen vor, das Grundgesetz zu ändern. Darin könnte verankert werden, dass das Bundesverfassungsgerichtsgesetz nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament geändert werden könnte – so die Idee, die der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Johannes Fechner, in der „Welt am Sonntag“ vorstellte. Der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Stephan Thomae, schlug vor, wesentliche Strukturen des Bundesverfassungsgerichts im Grundgesetz festzuschreiben.

Dazu gehörten „die Aufteilung des Gerichts in zwei Senate, die Festschreibung der zwölfjährigen Amtszeit von Richtern und die Festlegung, dass das Gericht über seine Geschäftsverteilung und seine Arbeitsweise selbst entscheiden kann“, sagte er der Zeitung. Um das Grundgesetz zu ändern, ist eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Die Ampelparteien bräuchten dafür also die Union. Diese signalisierte bereits Zustimmung. Einem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland zufolge sind sich die Ampelfraktionen und die Union bei der Frage „im Prinzip“ einig. Die Grundgesetzänderung solle bald kommen, um eine Situation wie in Polen zu vermeiden. Es würden bereits Gespräche geführt, gab Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) am Dienstag bekannt.

Der Düsseldorfer Rechtsprofessor Johannes Dietlein erklärte, über die verfassungsrechtliche Festschreibung der Grundstruktur des Gerichts mit seinen zwei Senaten mit jeweils acht Richterinnen und Richtern sollte man sicherlich ernsthaft nachdenken, „auch um der Gefahr eines missbräuchlichen „court packing“ vorzubeugen“. Damit ist gemeint, dass die Politik ein Gericht vergrößert und Richter ernennt, die wahrscheinlich zugunsten der eigenen Vorstellungen entscheiden – wie es etwa am Obersten Gerichtshof der USA passiert. (dpa)