ProzessNach dramatischem Busunglück in Sankt Augustin berichten Fahrgäste von „Höllenfahrt“

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Der Fahrer eines Linienbusses hat am Montagmorgen aus bislang ungeklärter Ursache die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren und hat zunächst ein Taxi gerammt, um anschließend durch eine Ladenzeile zu fahren und erst an einer Mauer gebremst zu werden.

Der Linienbus kam erst an der Mauer zur Moschee des marokkanischen Kulturvereins zum Stehen, er durchschlug die Wand.

Der Fahrer eines Linienbus hatte im November 2022 die Kontrolle über das Gefährt verloren. Er wurde wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt.

„Es war ein Höllenritt.“ So beschreibt Selina Bangel die schicksalhafte Fahrt mit dem Bus der Linie 512 am Morgen des 21. November 2022. Die Hochschwangere war auf dem Weg zu ihrem Gynäkologen, saß mit dem Rücken zur Fahrtrichtung  – und spürte plötzlich, wie das schwere Gefährt im engen Kreisverkehr an der Niederpleiser Straße und der Straße Am Engelsgraben enorm beschleunigte. 

Der Bus kam von der Straße ab und rammte mit hoher Geschwindigkeit einen Zaun und ein Taxi, bevor er in eine Ladenpassage fuhr und in die Wand einer Moschee krachte. Dabei wurden Bangel und zwei weitere Fahrgäste leicht verletzt. Am Mittwoch, 24. April, musste sich der 59 Jahre alte Fahrer, der ebenfalls nur leichte Verletzungen davontrug, vor dem Siegburger Amtsgericht verantworten. Er habe durch Fahrlässigkeit Körperverletzung begangen, so der Vorwurf.

Unfall in Niederpleis: Der Busfahrer habe Gas und Bremse verwechselt, sagte der Sachverständige

Für die Staatsanwaltschaft und Richter Herbert Prümper ein klarer Fall. Ein Strafbefehl über 50 Tagessätze à 70 Euro war an den sechsfachen Vater bereits verschickt worden, ein eher mildes Strafmaß, von dem erwartet wurde, dass der bisher unbescholtene Angeklagte es annehme.  Zumal ein nach dem Unfall angefertigtes Gutachten die Version des Busfahrers, Bremsen und Lenkung hätten plötzlich nicht mehr funktioniert, widersprochen hatte: Der Sachverständige hatte keine Hinweise auf einen technischen Defekt feststellen können.

Umso überraschter waren Richter und Staatsanwalt, als Verteidiger Jürgen Stomper erklärte, der Bus sei nicht wegen eines Fahrfehlers von der Straße abgekommen. „Der Bus ließ sich nicht mehr lenken und bremsen und beschleunigte urplötzlich“. Der erfahrene Fahrer sei mit angemessener Geschwindigkeit von  14 bis 15 Kilometern pro Stunde in den engen Kreisel eingebogen, dann habe das tonnenschwere Gefährt plötzlich beschleunigt, einen Gartenzaun, ein Taxi und einen Sprinter gerammt und die Schaufensterfronten einer Passage zerstört. Das ließe sich nur mit einem Defekt erklären. Zumal der Fahrer bereits zwei Wochen vor dem Unfall klappernde Geräusche wahrgenommen habe.

Die Version sei nicht möglich, machte ein Sachverständiger klar, kein Defekt war gefunden worden, auch die Auswertung des Fahrtenschreibers habe keinen Hinweis darauf gegeben. Ein Fahrfehler sei die einzig mögliche Erklärung: „Gas und Bremse zu verwechseln, ist keine völlig unübliche Sache. Das Fahrzeug beschleunigt, man tritt immer weiter, weil man denkt, es ist die Bremse.“

Fahrgäste aus dem Bus leiden bis heute unter den Folgen der Unfallfahrt

Der Angeklagte täte gut daran, die Schuld einzugestehen und den Strafbefehl zu akzeptieren, mahnte Richter Prümper: „Für die Folgen, die da entstanden sind, sind 50 Tagessätze geschenkt.“ Nach einer kurzen Beratung mit seinem Anwalt akzeptierte der Siegburger das Urteil über insgesamt 3500 Euro, vorbestraft ist er damit nicht. 

Ein Linienbus steht an einer Wand, seine Front ist eingedrückt.

Kioskbesitzer Asllanaj Asslan aus Sankt Augustin. Seine Scheiben gingen zu Bruch, als der Linienbus in die Passage fuhr.

Seine drei Fahrgäste, die als Zeugen geladen waren, mussten nicht mehr aussagen. Eine Zivilklage gegen den Familienvater will keiner anstrengen:  Übereinstimmend berichteten sie im Gespräch mit dieser Zeitung, der Fahrer sei völlig aufgelöst gewesen. Selina Bangel und Alexa Neumann, die mit ihr im Bus saß, steckt die Fahrt aber auch heute noch in den Knochen. 

„Das Krachen bekommt man nicht aus dem Kopf, der Bus ist in der Passsage ja rechts und links gegen die Wände getitscht“, berichtet Neumann. Ihr Hund Lou, ein Labrador, der mit ihr im Bus saß, habe eingerenkt werden müssen, sagt die 64-Jährige, sie selber schlafe schlecht. Auch Bangel geht es so, die nach dem Unfall eine Nacht im Krankenhaus verbringen musste. „Meine Tochter ist zum Glück gesund zur Welt gekommen“, erzählt sie. „Aber ich habe Probleme beim Busfahren, wenn eine Fahrt nicht so gleichmäßig verläuft, bekomme ich Panik.“

In Niederpleis sind die Schäden mittlerweile behoben. Über ein Jahr habe es gedauert, bis seine zersplitterte Fensterfront ersetzt wurde, berichtet Kioskbesitzer Asllanaj Asslan. Der Schmutz, der Stress, das ungleiche Erscheinungsbild seiner Ladenfront nach der Reparatur seien ärgerlich, „aber wichtig ist doch, dass niemandem etwas passiert ist! Morgens gehen hier viele Schulkinder lang.“ Hätte der Bus nicht nach dem Taxi noch seinen Sprinter gerammt, „der wäre direkt in den Laden geschossen, wir hätten alle tot sein können!“

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