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Kunstmuseen KrefeldDas bietet Gregor Schneiders Inszenierung „Welcome“

Lesezeit 4 Minuten
Gregor Schneiders Inszenierung „Welcome“ im Haus Esters, Krefeld, zeigt einen leeren Raum

Gregor Schneiders Inszenierung „Welcome“ im Haus Esters, Krefeld 

Der Künstler Gregor Schneider ließ für sein neues Projekt eine syrische Flüchtlingsfamilie das Haus Esters in Krefeld einrichten und bewohnen.

Der ausklappbare Wäscheständer ist weg. Nur ein Foto zeigt ihn vor dem großen Panoramafenster des Hauses Esters in Krefeld. Die mit Spitze besetzten Gardinen aber und die schweren Vorhänge hängen noch. Genauso wie die gemusterten Tapeten.

Ludwig Mies van der Rohe, der diese Ikone des modernen Bauens 1927/28 für den Seidenfabrikanten Josef Esters errichten ließ, würde sich im Grab umdrehen, wenn er sehen würde, wie seine im Stil der Neuen Sachlichkeit entworfenen Räume eingerichtet sind. Möglicherweise aber auch nicht. War er zwar selbst kein Kommunist, so sympathisierte er doch wie viele seiner Architektenkollegen in den 1920ern mit sozialistischen Ideen.

Haus nach Wünschen der Flüchtlingsfamilie eingerichtet

Insofern hätte ihm die Idee von Gregor Schneider vielleicht gefallen. Der 1969 in Mönchengladbach-Rheydt geborene, international gefeierte Künstler hat auf Einladung der Kunstmuseen Krefeld in der Unternehmervilla sein Projekt „Haus Alhmam Aldaas“ realisiert und dem seit 1961 als Museum genutzten Haus einen Monat lang seine ursprüngliche Bestimmung zurückgegeben, indem er eine syrische Flüchtlingsfamilie darin wohnen ließ.

Der Mann war 2015 vor dem Krieg geflohen, die Frau folgte, zwei Kinder kamen in Deutschland auf die Welt. Nach ihren ästhetischen Vorstellungen und persönlichen Bedürfnissen durften sie das Haus einrichten. Um das Inventar zu kaufen, kutschierte Schneider sie zu Möbelhäusern. Anfang Mai zog die Familie wieder aus.

Fragen wie: „Was sind das für Menschen?“ oder „Wo leben sie jetzt?“ sind Teil des Projekts. „Das sind schon die richtigen Fragen“, sagt Schneider. „Aber es geht nicht um eine Familie, sondern um das Generelle.“ Darum soll die Familie anonym bleiben. Nun kann jeder die leeren Räume besichtigen und sich in der Ausstellung „Welcome“ eigene Gedanken machen. Der Name Alhmam Aldaas steht noch an der Klingel.

Gregor Schneiders Kunst beschäftigt sich oft mit Räumen

Im Wohnzimmer verzieren arabische Kalligraphien die Tapete. Im rosa Kinderzimmer lacht ein kleines Mädchen im Feen-Look von der Wand. Nur wenige Spuren sind in dem besenrein hinterlassenen Haus noch zu finden. Hier liegt ein Bügeleisen unterm Vorhang, da eine Kinderhalskette auf der Fensterbank. Ein einfaches Konzept.

Trotzdem tun sich unzählige Assoziationsräume auf und der Künstler bezieht klar Stellung. Durch den Perspektivwechsel kommt es zum kulturellen Vergleich. Wie unterscheiden sich die Bedürfnisse von Flüchtlingen und Industriellen? Wofür steht das Bauhaus (dessen letzter Direktor Mies von der Rohe war) und wird es seinem universellen Anspruch gerecht?

Gregor Schneider wünscht sich mehr Normalität im Umgang miteinander und will seine Arbeit als „Denkraum“ zum Thema Heimat und Vertreibung verstanden wissen. Fotos und ein Film, mit denen er das Haus in bewohntem Zustand dokumentiert hat, sind ab 23. Mai im Kaiser Wilhelm Museum zu sehen.

Projekte in Köln und Pulheim realisiert

Mit Räumen beschäftigt sich Gregor Schneider, der seit 2016 Professor an der Kunstakademie Düsseldorf ist, schon lang. Beim Projekt „Sterbende Dörfer“ am Tagebauloch Garzweiler rettete er Zimmer und Inventar aus zum Abbruch freigegebenen Orten.

Bei seinem in Hamburg realisierten „Cube“, zu dem er sich durch die Kaaba in Mekka und Kasimir Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ inspirieren ließ, experimentierte er mit kulturellen Überlagerungen und schaffte es, dass Imame erstmals die Hamburger Kunsthalle betraten. Das Geburtshaus von Joseph Goebbels in Rheydt dokumentierte und entkernte er.

Im Schauspiel Köln schickte er Besucher durch ein 21 Mal identisch nachgebautes Badezimmer. Und die Synagoge Stommeln verwandelte er in ein Einfamilienhaus und ließ sie hinter einer gelb getünchten Fassade in städtischer Normalität verschwinden.

Der Nukleus seines Schaffens aber ist das „Haus u r“ in Rheydt. Seit 1985 höhlt er sein Elternhaus aus und baut Räume in die Räume. 24 davon transportierte er 2001 in 100 Kisten nach Venedig, zeigte sie im Deutschen Pavillon auf der Biennale und erhielt dafür den Goldenen Löwen. In Rheydt übrigens soll mancher Nachbar sich über das „heruntergekommene“ Haus in der Unterheydener Straße beschweren.

Im bürgerlichen Krefelder Stadtteil Bockum dagegen hat sich keiner am Aldaas-Projekt gestört, wie Katia Baudin als Direktorin der Kunstmuseen Krefeld mitteilt. Was ebenso für die Nachbarn spricht wie für die syrischen Migranten. Gelebte Willkommenskultur als Kunst. Das ist mehr als nur eine schöne Idee.

Bis 21. September, Di bis Do, So 11-17 Uhr, Fr bis Sa 11-18 Uhr. Haus Lange/ Haus Esters. Wilhelmshofallee 91-97.