Cowboy CarterBeyoncé zeigt im neuen Album Balladen-Schlagseite

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Beyoncé auf einem Lippizaner.

Beyoncé auf einem Lippizaner.

„Cowboy Carter“ ist jetzt draußen. Und demonstriert, dass die besten Absichten nicht zwangsläufig für die beste Kunst sorgen müssen.

Jetzt ist es also endlich da, das sogenannte Country-Album von Beyoncé Giselle Knowles-Carter, und dass die 42-Jährige schon quasi präemptiv über „Cowboy Carter“ zu Protokoll gegeben hatte, es handele sich hier ja gar nicht um ein Country-Album, „sondern um ein Beyoncé-Album“, stellt sich nun nach der 79-minütigen Durcharbeit der 27 Songs, Schnipsel und Interludes ganz gewiss nicht als Untertreibung heraus. „Cowboy Carter“ ist ungefähr so sehr Country, wie die Ramones-T-Shirts, die es immer mal wieder in Läden wie „Urban Outfitters“ zu kaufen gibt, echte Bekenntnisse zum Punk sind.

Alte-Männer-Genre

Dabei ist die Intention, die dem Werk zugrundliegen, voll und ganz honorig. Knowles-Carter, seit Jahrzehnten eine der meinungsführendsten und erfolgreichsten Sängerinnen, Songschreiberinnen und musikalischen Konzeptkünstlerinnen der Welt, möchte Country die Schmiere des zu weißen, zu männlichen, zu frauenfeindlichen und zu oft auch rassistischen Alte-Männer-Genres abwischen.

Dass es in diese in den USA immens populären Subkultur noch immer eklig reaktionär zugehen kann, musste auch Beyoncé selbst erfahren. 2016 stand sie gemeinsam mit den Dixie Chicks, die heute Chicks heißen und sich ihrerseits einst nach kühner Kritik an der Kriegspolitik des damaligen US-Präsidenten George W. Bush mit CDs verbrennenden Ex-Fans konfrontiert sahen, auf der Bühne bei einer Preisverleihung, um ihren Song „Daddy Lessons“ aufzuführen. Nachher hieß es in Country-Kreisen sinngemäß, die Beyoncé, die gehöre hier ja wohl nicht her. Wut und Trotz über diese Abfuhr spielten bei der Motivation für das Nachfolgealbum der House-und-Disco-Platte „Renaissance (2022) also auch eine Rolle.

„Meine Hoffnung ist, dass in einigen Jahren die Hautfarbe der Künstlerin oder des Künstlers in Bezug auf das Genre irrelevant sein wird“, ließ sie im Begleitschreiben zum Album, an dem sie seit 2019 geschrieben habe, wissen. Man könnte natürlich auch gleich sagen: Genres sind von gestern, Hautfarbe, Geschlecht und sonstige Merkmale sollten ja wohl eh keine Rolle spielen, alle können einfach alles machen. Weil sie es wollen. Und im besten Fall: Weil sie es können.

Quatsch-Klischee

Dass Country besonders weiß sei, ist ja sowieso ein Quatsch-Klischee. Die Musik entwickelte sich um die Wende zum 20. Jahrhundert in den Appalachen und den Südstaaten aus dem Blues der schwarzen Landarbeiter heraus, und im Gegensatz zur Scheinrealität, die Hollywood uns hat glauben lassen, sei etwa die Hälfte aller Cowboys damals schwarz gewesen.

Auf dem Albumcover reitet Beyoncé im adligen Seitsitz auf einem grauen Lipizzaner, sie trägt weiße Cowboystiefel, eine weiß-rot-blaue Montur in den Farben des Sternenbanners, das sie wiederum in großformatiger Ausführung in der linken Hand hält. Man sieht die Studierenden im Hauptseminar Kulturpolitik förmlich vor sich, wie sie über die Implikationen dieses von Blair Caldwell geschossenen Fotos diskutieren werden, manche vergleichen das Bild jetzt schon mit einem Portrait von George Washington oder dem von Napoleon bei seiner Alpenüberquerung. Man kann es aber auch einfach mal gut sein lassen mit den ganzen – freilich von Knowles-Carter selbst angestoßenen – Diskursen.

Und ein bisschen die Luft aus den tiefen Symboliken, Anspielungen und Überfrachtungen lassen, um „Cowboy Carter“ einfach mal anzuhören. Ist ja schließlich auch nur Musik, sehr kommerzielle noch dazu. Eindruck: Das Album ist gut. Aber nicht gut genug, um diesen ganzen kulturhistorischen Überbau auf ein stabiles Fundament zu stellen. Tatsächlich zählt „Texas Hold `Em“, die schmissige Banjo-Nummer, mit der Beyoncé das ganze Projekt ins Rollen gebracht hat und die es tatsächlich auf Platz eins der als konservativ verschrienen US-Countrycharts geschafft hat, zu den wenigen wirklich fetzigen Nummern. Überwiegend jedoch assoziiert Beyoncé Country mit einer gewissen Balladenschlagseite. Das eröffnende „American Reqiuem“, eine „Lasst-uns-alle-gemeinsam-für-das-Gute-einstehende“ Nummer am Rande einer Regierungserklärung führt beim Hören zu keinem großen Ruck-Gefühl. Auch die folgende Beatles-Coverversion „Blackbird“ (von Paul McCartney als Verneigung vor einer Gruppe von neun schwarzen Schülern geschrieben, die Diskriminierung erleiden musste, nachdem sie sich 1957 auf einer rein weißen High School eingeschrieben hatte) kommt arg unaufdringlich daher. Beyoncé kocht mitunter ein enttäuschend dünnes Süppchen. Ihre Stimme ist nicht ideal dafür geeignet, überwiegend akustisch instrumentierte Songs zu tragen.

Gastbeiträge

Zum Glück ist das Album nicht frei von echten Sternstunden. Das Thelma-und Louise-Gedächtnislied „II Most Wanted“, ein Duett mit Miley Cyrus, hat Kraft und Charisma, „Spaghetti“, auf dem die 82 Jahre alte Country-Pionierin Linda Martell, die erste schwarze Frau, die in der legendären Grand Ole Opry in Nashville auftreten wurde, mitmacht, ist zwar eher ein Rap-Song, aber ein sehr unterhaltsamer. Dolly Parton ist, wie erwartet, auch am Start, Beyoncé singt, auch das ist keine Überraschung mehr, eine hübsche, mit feministischer Lyrik aktualisierte Version von „Jolene“.

Andere Gastbeiträge wie der von Pop-Crossover-Mann Post Malone („Levii’s Jeans“) oder das Grummeln des Willie Nelson verpuffen dagegen. Toll geworden ist „Ya Ya“, eine psychedelisch-rockige Soulnummer, die sich bei Nancy Sinatra und den Beach Boys bedient, das erfrischend irre „Sweet Honey Buckiin“ mit Pharrell Williams und, als Höhepunkt: „Daughter“. Die Mörderballade fängt still und eindringlich an, um gegen Ende in eine Passage aus der italienischen Arie „Caro Mio Ben“ auszubrechen. Je länger man indes dieses überlange und mit zu vielen Songs zum Vergessen aufgefüllte Ritt durch die Musiklandschaften anhört, umso mehr vergisst man das übrigens mit dem Country-Konzept. Vor allem, weil es Beyoncé offensichtlich ganz genauso geht. Der finale Song auf „Cowboy Carter“ heißt „Amen“. Dem haben wir nichts hinzuzufügen.

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