„So schlimm war es noch nie“Im Tierheim in Köln-Dellbrück kommt es immer wieder zu einem Aufnahmestopp

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Ein Vögelchen, dass noch Teile des geben Flaumgefieders hat und sehr mitgenommen aussieht, sitzt in der Hand einer Tierheimmitarbeiterin.

Aus dem Nest gefallen und völlig hilflos: Zwei kleine Tauben, die Tierfreunde im Dellbrücker Tierheim abgegeben haben.

Die Kosten für Futter und Tierarzt sind drastisch gestiegen, immer mehr Haustiere landen im Dellbrücker Tierheim. Dessen Mitarbeitende arbeiten seit Monaten am Limit.  

Ein Kölner Ehepaar kommt eilig auf das Gelände des Dellbrücker Tierheims, die Frau trägt ein Handtuch in den Armen. Darin eingewickelt sind zwei kleine, verletzte Tauben, die am Morgen aus dem Nest gefallen sind. Während des Frühstücks hatten das Paar Geräusche gehört. Bei genauerem Hinsehen entdeckten sie die Jungvögel. „Uns war klar, dass wir etwas tun müssen. Das sind kleine Lebewesen“, sagt Murat Durgut.

. Eine junge, graugetigerte Katze sieht mit traurigem Blick in die Kamera.

Auch Katzen wurden in der Coronazeit übers Internet gekauft. Viele von diesen Tieren warte jetzt im Dellbrücker Tierheim auf verantwortungsvolle Besitzer.

Eine Anlaufstelle für solche und andere Notfälle ist das Tierheim in Dellbrück. „Den meisten Menschen ist gar nicht bewusst, dass wir hier auch unzählige Wildtiere versorgen. Oft werden wir nur mit Hunden und Katzen in Verbindung gebracht“, sagt Tierheimsprecherin Sylvia Hemmerling. Gerade in den vergangenen Wochen versorgte das Team dutzende Mauersegler und Tauben. Sie sind besonders pflegeintensiv und müssen oft mit der Pipette gefüttert werden. „Da muss man auch mal abends um 21 Uhr herkommen, um die Vögel zu versorgen“, sagt Sandra Hammann, Bereichsleiterin der Klein- und Wildtierabteilung. Sie ist eine der gut 30 Mitarbeitenden, die sich in Dellbrück um hunderte Tiere kümmern. Durch die zunehmende Zahl der Tiere und deren Schicksale sei Arbeit oft anstrengend, besonders mental. Die aktuelle Lage verschärfe die Situation.

Wir haben eine Abgabewelle. Die Tiere werden genauso abgeschafft, wie sie angeschafft wurden.
Tierheim-Sprecherin Sylvia Hemmerling

Immer wieder Aufnahmestopps und quasi Vollbelegung – seit Monaten ist das der Alltag. „Ich arbeite seit 20 Jahren hier. So schlimm war es gefühlt noch nie“, sagt Hemmerling. Der Hauptgrund liege in der Vergangenheit: die Corona-Pandemie. In dieser Zeit haben sich viele Menschen Haustiere zugelegt und offenbar unterschätzt, wie viel Arbeit, Verantwortung und potenzielle Kosten auf Tierbesitzer zukommen. „Wir haben eine Abgabewelle. Die Tiere werden genauso abgeschafft, wie sie angeschafft wurden. Viele haben ihre Tierhaltung überhaupt nicht vernünftig geplant“, kritisiert Hemmerling. Und dank Online-Plattformen sei es besonders einfach, Welpen oder Kätzchen zu kaufen. Niemand kontrolliere, ob sich die neuen Besitzer ausreichend kümmern und es den Tieren bei ihnen gut geht.

Ein hellbrauner struppiger Hundemischling steht in seinem vergitterten Zwinger.

Abgegeben werden derzeit auch viele Hunde. Manche Besitzer könne die hohen Kosten für Futter und Tierarzt einfach nicht mehr aufbringen.

Außerdem hätten die gestiegenen Tierarztkosten zu vermehrten Abgaben von Tieren geführt. „Bei entsprechender Verletzung kommt da schnell mal ein vierstelliger Betrag zusammen. Den möchten oder können die Besitzer nicht zahlen, einige sind sogar bereit, ihr Tier dann lieber einschläfern lassen“, sagt Hemmerling. Immer wieder erreichen sie entsprechende Anrufe von Tierärzten. Das Tierheim übernimmt die Tiere und die dazugehörige Rechnung. „Es ist für mich unverständlich, wie manche Menschen mit Tieren umgehen. Da fehlt die Wertschätzung. Es handelt sich um fühlende Wesen und nicht um Spielzeuge“, erklärt Hemmerling.

Im Sommer sei die Belastung zusätzlich erhöht. Denn normalerweise gleichen sich die Anzahl der Tieraufnahmen und Adoptionen grob aus. Doch in den Sommerferien gerät diese fragile Balance aus dem Gleichgewicht. „In den ersten Wochen möchten alle noch in den Urlaub fahren und logischerweise kein Haustier adoptieren. Für uns bedeutet dies aber, dass sich die Tiere quasi anstauen und wir noch weniger Platz haben als ohnehin“, führt Hemmerling aus.

Wir möchten in den Sozialen Medien nicht nur Trauriges zeigen und klagen. Die Follower sollen unsere Seiten gerne besuchen, uns im Alltag begleiten - und auch mal lachen dürfen.
Tierheimsprecherin Sylivia Hemmerling über den Instagram-Auftritt des Tierheims

Genau um auf diese Umstände aufmerksam zu machen, pflegt Hemmerling den Instagram-Kanal des Tierheims ausführlich. Sie postet Videos und Fotos von den Tieren und vom Alltag hinter den Kulissen. „Das schafft Transparenz. Wir möchten in den Sozialen Medien nicht nur Trauriges zeigen und klagen. Die Follower sollen unsere Seiten gerne besuchen, uns im Alltag begleiten – und auch mal lachen dürfen“, sagt Hemmerling.  Das helfe auch bei den Vermittlungen. Durch den täglichen Austausch sei mittlerweile eine richtige Community entstanden. Auch Spendenaufrufe oder Informationen für Patenschaften teilt sie über den Kanal – mit Erfolg. Das sei besonders wichtig, denn ein Großteil der benötigten Gelder komme über Spenden zusammen.

Ein Mauersegler sitzt auf der Hand einer Tierheimmitbareiterin.

Auch Mauersegler werden in Dellbrück abgegeben. Mit viel Zeitaufwand und Geduld päppeln die Tierfreunde die faszinierenden Flugkünstler wieder auf.

Darüber hinaus leistet das Tierheim auch Aufklärungsarbeit. Denn was artgerechte Tierhaltung und verantwortungsvoller Umgang bedeutet, sei längst nicht allen Tierbesitzern oder solchen, die es werden wollen, bewusst. Hemmerling empfiehlt außerdem auch eine Tierversicherung, um im Notfall abgesichert zu sein. „Wir vermitteln die Tiere mit dem Ziel, einen guten Platz auf Lebenszeit zu finden. Das sollte der Anspruch jedes Tierbesitzers sein.“

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