Interview

Kölner Strafrechtlerin gibt Auskunft
Sollten wir am heutigen Paragrafen 218 festhalten?

Lesezeit 5 Minuten
Berlin: Aktivistinnen streichen während eines Flashmobs des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung unter dem Motto ·Legal, einfach, fair - Für eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland!· mit der Farbe Lila symbolisch den Paragraph 218 Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetzbuch durch. Nach Einschätzung einer Expertenkommission sollten Abtreibungen in Deutschland künftig nicht mehr grundsätzlich strafbar sein.

Berlin: Aktivistinnen streichen während eines Flashmobs des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung unter dem Motto ·Legal, einfach, fair - Für eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland!· mit der Farbe Lila symbolisch den Paragraph 218 Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetzbuch durch. Nach Einschätzung einer Expertenkommission sollten Abtreibungen in Deutschland künftig nicht mehr grundsätzlich strafbar sein.

Die Kölner Strafrechtlerin Frauke Rostalski ist Mitglied des Deutschen Ethikrates. Sie plädiert dafür, die zentralen Fragen zur Selbstbestimmung der Frau nicht aus den Augen zu verlieren und warnt vor Polarisierung.

Frau Rostalski, ein Schwangerschaftsabbruch ist unter bestimmten Bedingungen straffrei, bleibt aber rechtswidrig. Betroffene Frauen und Mediziner fühlen sich dadurch diskriminiert. Wird das überhaupt noch verstanden? Müssen wir da nicht wirklich über eine neue Herangehensweise nachdenken?

Ich kann das nachvollziehen, denn solche dogmatischen Formulierungen führen oft zu Missverständnissen, Laien interpretieren sie anders als Juristen. Für Juristen ist es so: Wir haben verschiedene dogmatische Stufen, eine ist die Rechtswidrigkeit. Es geht einfach um Gründe, die für oder gegen eine Strafbarkeit sprechen. Am Ende zählt das Ergebnis, die Straflosigkeit. Der schwangeren Frau und ihrem Arzt wird kein Vorwurf gemacht, wenn der Abbruch im Rahmen des gegenwärtigen Paragrafen 218 erfolgt ist. Das ist für eine Juristin entscheidend: Es wird kein Vorwurf unterbreitet.

Neun von der Bundesregierung berufene Expertinnen sehen das anders, und sie sagen sogar, die bestehende Regelung sei verfassungsrechtlich nicht haltbar. Auch wenn sie ja früher mal vom Bundesverfassungsgericht so vorgegeben wurde. Was könnte sich da verändert haben?

Das ist der Knackpunkt. Denn das Bundesverfassungsgericht hat sich nach 1975 noch einmal mit dem Thema befasst, 1993, und ausdrücklich gesagt, dass auf den Schutz des Strafrechts nicht verzichtet werden kann. Nun sagen die Kolleginnen das Gegenteil: Man könne nun zu einer anderen verfassungsrechtlichen Beurteilung kommen, denn es habe sich eine wesentliche Änderung vollzogen. Dazu verweisen sie auf die internationale Rechtsentwicklung. Mich überzeugt das nicht. Für uns hat das Grundgesetz Vorrang, also hätte die Kommission belegen müssen, dass sich die zugrundeliegenden Anschauungen in unserer Gesellschaft geändert haben. So etwas kommt ja vor, etwa bei der – absolut richtigen – Aufhebung der Strafbarkeit des Beischlafs unter erwachsenen Männern. Aber im Kontext von Paragraf 218 sehe ich keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Anschauungen in der Bevölkerung so gravierend geändert haben sollen.

Eine Umfrage für das Familienministerium sieht eine Mehrheit für eine Abschaffung von Paragraf 218.

Feldforschung ist wichtig, aber auch sie leuchtet nur einen bestimmten Bereich des Meinungsbildes aus. Deswegen gibt es ja demokratische Verfahren, und ich finde es auch nicht falsch, von Zeit zu Zeit Dinge zu hinterfragen. Aber ich bin mir gar nicht so sicher, dass wirklich eine weit überwiegende Mehrheit für gravierende Änderungen bei Paragraf 218 ist. Ich sehe da ein vielfältiges Spektrum – und ich sehe bei uns und auch beim Blick ins Ausland, wie stark das Thema Lebensschutz polarisiert. Eine Regelung, die seit längerer Zeit Rechtsfrieden geschaffen hat, anlasslos aufzuheben, das hielte ich für falsch.

Nach den bisherigen Urteilen geht es um den Schutz der Menschenwürde, also das allerhöchste Rechtsgut im Grundgesetz. Wie weit können da geänderte Anschauungen überhaupt eine Rolle spielen?

Im Kommissionsbericht heißt es, Verletzungen der Menschenwürde könnten nur durch den Staat erfolgen, der Abbruch dagegen sei eine Sache der Schwangeren und ihres Arztes. Auch unabhängig davon erfolge die Tötung ohne herabwürdigende Begleitumstände, also werde der abgetriebene Fötus nicht verobjektiviert. Anders als etwa bei Folter. Aber welche größere Herabwürdigung kann es geben als die Tötung eines Menschen? Da wird jemandem genommen, was er als Substanz benötigt, um überhaupt an unserer Gesellschaft teilhaben zu können.

Aber die Mutter müsste sich bei Fortsetzung der Schwangerschaft in eine lebensverändernde Situation mit großen Belastungen begeben. Da sagt die Kommission, bei einem schon außerhalb des Mutterleibes lebensfähigen Kind etwa ab der 22. Woche sehen wir das ein, aber nicht in den ersten zwölf Wochen.

Die Entwicklung des ungeborenen Kindes ist ein Kontinuum. Da läuft keine Menschwerdung ab, sondern vom ersten Augenblick an ist ein Mensch da, der dann seine Fähigkeiten entwickelt bzw. weiterentwickelt. Wenn man überhaupt ein Kriterium für den Beginn des Schutzes finden wollte, wäre an das Schmerzempfinden zu denken. Das ist weit vor der 22. Woche da. Wenn Lebensfähigkeit das Kriterium wäre, kämen wir auf eine schiefe Bahn. Was ist mit jemandem, der nach einem schweren Unfall von lebenserhaltenden Geräten abhängig ist? Auf der Basis der Argumentation der Kommission müsste man auch hier sagen, dass sein Leben rechtlich weniger zu schützen ist. Ich halte das für falsch.

Aber wieso zog dann das Verfassungsgericht selbst eine Grenze, die zwölfte Woche?

Weil es eine Kompromisslösung ist. Nicht, weil das Leben vor der zwölften Woche weniger wert wäre. Auch ich bin dafür, dass es einen Rahmen für straffreie Abtreibungen gibt. Ich bin dagegen, sie ganz zu verbieten. Wir sollten am heutigen Paragrafen 218 festhalten. Wir haben uns auf die zwölfte Woche geeinigt. Man hätte auch zehn oder 13 sagen können. Bis zu der vereinbarten Grenze gibt die Rechtsgemeinschaft dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren den Vorzug .

Frankreich hat ein Grundrecht auf Abtreibung definiert. Was machen wir in Deutschland, wenn diese Tendenz sich international fortsetzt?

Wir sehen in Frankreich diesen Trend, in den USA einen gegenläufigen. Entscheidend ist, dass wir unsere eigene Bevölkerung mit ihren eigenen Wertvorstellungen in den Blick nehmen. Und unser eigenes Grundgesetz, in dem die Menschenwürde aufgrund unserer Geschichte so einen hohen Rang hat. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht durch den Blick ins Ausland den aufs Inland verlieren.

Wie kann es denn jetzt weitergehen?

Wenn ich mir schon die aktuelle Debatte um ein Verbot der Gehsteigansprache vor Abtreibungspraxen ansehe, habe ich große Sorgen vor einer Polarisierung der Gesellschaft. Wenn es hochkommt, gibt es einmal im Jahr ein Strafurteil wegen Paragraf 218. Es ist also überhaupt nicht notwendig, den Kompromiss aufzukündigen. Was mich am meisten ärgert, ist, dass wir über Paragraf 218 den eigentlich zentralen Punkt aus dem Blick verlieren: die Ungerechtigkeit, die in unserer Gesellschaft herrscht. Für Alleinerziehende, für Frauen, die ungewollt schwanger werden und vielleicht in prekären Lebenssituationen sind. Wie kann man von Selbstbestimmungsfreiheit der Schwangeren sprechen, wenn sie aus finanzieller Not heraus abtreibt? Wir müssen über Sozialpolitik sprechen. Alleinerziehende und Eltern behinderter Kinder sollten keine sozialen Nachteile haben, wie es derzeit aber der Fall ist. Eine Streichung von Paragraf 218 bringt uns da keinen Schritt weiter.

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