Rundschau-Debatte des TagesAttentäter und Spione – wie sicher ist Deutschland?

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Ein chinesische Flagge weht vor der Botschaft von China in Berlin. Drei Deutsche sind wegen mutmaßlicher Spionage für China festgenommen worden.

Ein chinesische Flagge weht vor der Botschaft vonChina in Berlin. Drei Deutsche sind wegen mutmaßlicher Spionage für China festgenommen worden.

Wegen der vielen internationalen Krisen hat der Verfassungsschutz nach Angaben seines Chefs Thomas Haldenwang so viel zu tun wie lange nicht.

Eine erhöhte Anschlagsgefahr und steigender Antisemitismus wegen des Nahost-Konflikts, zudem mutmaßlich von Russland aus gesteuerte Sabotagepläne – und ganz aktuell neue Spionagevorwürfe gegen China: Die zahlreichen internationalen Krisen haben nach Einschätzung des Bundesamts für Verfassungsschutzes (BfV) die Sicherheitslage in Deutschland deutlich verschärft.

„Mehr denn je sehen wir transnationale Bezüge in allen Arbeitsfeldern des BfV“, betonte Präsident Thomas Haldenwang anlässlich eines Symposiums, das seine Behörde am Montag in Berlin veranstaltete. „Destruktive Akteure aus dem In- und Ausland arbeiten aktiv an einer Destabilisierung unserer Demokratie und unseres Staates. Dabei bedienen sie sich aller Mittel: Spionage und Cyberangriffe, Einflussnahme und Desinformation, Proliferation und Sabotage sowie Staatsterrorismus.“

Internationale Krisen wirkten sich in Deutschland unmittelbar aus, betonte der Chef des Verfassungsschutzes mit Sitz in Köln in der ARD. „Wir haben eine Dichte an Vorfällen aus den unterschiedlichen Bearbeitungsbereichen meines Hauses, wie wir sie seit vielen Jahren, vielleicht in der Geschichte dieses Amtes noch nie wahrgenommen haben.“

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Problemfeld 1: Naher Osten

Im Fall des Nahost-Konflikts sei „die latente Gefahr von islamistisch motivierten Anschlägen“ gestiegen, sagte Haldenwang bei dem Symposium. Besorgt zeigte er sich wegen der „Gefahr durch hoch emotionalisierte Personen“, die infolge der Ereignisse in Nahost zu Anschlägen etwa gegen jüdische Einrichtungen gebracht werden könnten. Es sei „erschreckend“, in welch schneller Folge in Europa hier Anschlagspläne aufgedeckt würden.

Die möglichen Täter würden dabei immer jünger, Minderjährige würden zunehmend über soziale Netzwerke wie Tiktok radikalisiert, sagte der BfV-Präsident. Er schätzte, dass es schon „bei der Hälfte der Fälle“ um sehr junge Menschen gehe. Für Anschläge ausgewählt würden oft „weiche Ziele“, also leicht zugängliche Orte, fügte der Verfassungsschutz-Chef hinzu. Er nannte als Beispiele Täter, die mit Autos in Menschenmengen fahren wollten oder in der Bahn Messerattacken verübten.

Gleichzeitig fänden sich vor dem Hintergrund des Nahost-Konflikts ganz unterschiedliche Gruppen zusammen, die bislang nicht kooperiert hätten. „Da ist auf einmal Hamas und Hisbollah auf einer Linie mit IS oder mit Al-Kaida“, sagte Haldenwang. Aber auch säkulare Gruppen etwa aus dem türkischen Links- oder Rechtsextremismus sowie deutsche Linksextremisten teilten anti-israelische Propaganda.

Problemfeld 2: Russland

Seine Behörde bewerte das „Risiko staatlich gesteuerter Sabotagehandlungen als deutlich erhöht“, erklärte der BfV-Chef. So sei Russland ein „sehr aggressiver Player“, nicht erst seit Beginn des Ukraine-Kriegs. „Spionage, Cyberangriffe, Einflussoperationen seit langer Zeit“ und seit Beginn des Kriegs mit besonderer Intensität, zählte Haldenwang auf. Der Kreml scheine „keinerlei Rücksichten“ zu nehmen und könne je nach Kriegsverlauf in der Ukraine auch mit Sabotageakten in Deutschland reagieren.

Haldenwang verwies auf die Festnahmen in der vergangenen Woche in Bayern. Laut Bundesanwaltschaft sollen zwei Deutschrussen potenzielle Anschlagsziele ausgekundschaftet haben, um Sabotageakte gegen die von Deutschland aus geleistete militärische Unterstützung für die Ukraine zu verüben.

Die russischen Stellen achteten bei ihren Aktionen auf die richtigen Zeitpunkte, stellte der oberste Verfassungsschützer mit Blick auf die anstehende Europawahl und die drei Landtagswahlen im September fest. „Hier werden Einflussaktivitäten wie Desinformationskampagnen sichtbar, aber eben auch die Einflussnahme auf bestimmte Politiker unterschiedlicher Parteien“, warnte er. Ziel sei es dabei, die Spaltung der Gesellschaft zu fördern und Kräfte am rechten Rand zu stärken.

Insbesondere mit Blick auf die Finanzierung von Rechtsextremisten und der neuen Rechten forderte Haldenwang mehr Befugnisse für seine Behörde bei Finanzermittlungen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat hierzu eine Gesetzesänderung angekündigt. Haldenwang zeigte sich zuversichtlich, dass diese in absehbarer Zeit beschlossen wird.

Problemfeld 3: China

China verfolge bei seiner Spionage langfristige Ziele, sagte Haldenwang. „Man hat Zeit. Bis 2049 will man aber die politische, militärische, wirtschaftliche Macht Nummer eins auf dem Globus sein.“ Dieses Ziel verfolge China kontinuierlich, in erster Linie mit legalen, aber auch mit illegalen Mitteln. Beispielhaft sei der Einsatz chinesischer Gastwissenschaftler – an deutschen Universitäten gebe es etwa 40000 chinesische Studierende. Alle diese Menschen seien gesetzlich zur Lieferung von Informationen an den chinesischen Staat verpflichtet.

Auch Wirtschaftsspionage ist laut Haldenwang ein wichtiges Thema. „Bei jedem Joint Venture, bei jedem Direct Investment Chinas kommen auch chinesische Manager, chinesisches Personal nach Deutschland. Auch da besteht eine Verpflichtung, mit dem chinesischen Staat zu kooperieren.“ Geschäftsgeheimnisse von Firmen, an denen China einen Anteil halte, könnten ebenfalls dorthin gelangen. Hinzu kämen zunehmend ausgefeilte Cyberangriffe. Zum Vorgehen sagte der BfV-Präsident ganz grundsätzlich: „China macht es eher hintergründig, will nicht auffallen. Wenn sie erwischt werden, wird es geleugnet.“

Maik Pawlowsky von der Spionageabwehr des Kölner Bundesamts erklärte, die kommunistische Partei Chinas übe auch hierzulande Druck aus. „Um Einfluss auf oppositionelle Aktivitäten zu nehmen, werden relevante Personen eingeschüchtert, zur Aufgabe ihrer Tätigkeiten oder auch zur Kooperation gedrängt.“ Repressalien gegen Angehörige in China oder das Drohen damit gehörten zum nachrichtendienstlichen Repertoire. Auch Denunziation komme zum Einsatz: So würden Dissidenten im Ausland gezielt als Zuträger chinesischer Geheimdienste in Misskredit gebracht. (afp/dpa)

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